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Hanns Dieter Hüsch - Ich bin ein deutscher Lästerer

Ich habe mich von Kindesbeinen an zu einem deutschen Lästerer entwickelt
Ich habe meinen deutschen Laufstall nicht verlassen
Ich habe schon mit einem Jahr gesprochen
Ich habe schon mit vierzehn Monaten einen guten Eindruck gemacht
Ich habe schon mit 36 Monaten mir meinen Scheitel selbst gekämmt
Ich habe niemals Obst gegessen, wenn es nicht vorher stundenlang gewaschen war — wer weiß, durch wieviel Hände dieser Apfel schon gegangen ist
Ich habe in der Schule meine Butterbrote immer aufgegessen
Ich habe im Kindergottesdienst immer ausgesehen wie ein Schaf
Ich habe meine deutschen Bleyle-Hosen bis zum »gehtnichtmehr« getragen
Ich habe als Sextaner zur Oberprima aufgeschaut
Ich habe als Primaner Professoren für die Allergrößten gehalten
Ich habe mich dann geistig auf dem laufenden gehalten
Ich habe mich dann musisch auf dem laufenden gehalten
Ich habe mir dann sagen lassen müssen, daß ich ein internationaler Mauschler bin
Ich habe mir dann sagen lassen müssen, daß ein Volk wie eine Art Familie ist
Ich habe mir dann sagen lassen müssen, daß es Gott doch gar nicht gibt
Ich habe mir dann sagen lassen müssen, daß es Gott doch gibt
Ich habe mir dann sagen lassen müssen, daß ein deutscher Soldat mehr wert ist als ein russischer Soldat
Ich habe mir dann sagen lassen müssen, daß ein deutsches Kind biologisch viel höher steht als ein Zigeunerkind
Ich habe mir dann sagen lassen müssen, daß ich ein weltfremder Idiot bin
Ich habe mir dann sagen lassen müssen, daß ich doch mal zum Friseur gehen soll
Sie könnten sich auch mal die Haare schneiden lassen
Sie haben wohl kein Geld, zum Friseur zu gehen
Sie haben wohl wieder Ihre Trotzphase
Sie dürften mein Sohn nicht sein
Mit solchen Haaren
Ich müßte Ihr Chef sein
Mit solchen Haaren dürften Sie mir nicht kommen
Was sagen denn Ihre Eltern dazu
Bei Adolf hätten Sie so nicht herumlaufen können
Sie meinen wohl noch, das wäre schön
Würden Sie mir bitte einen Kamm kaufen
Ich kann Ihnen ja nichts sagen: Das ist diese Demokratie
Das ist ja dieser amerikanische Einfluß
Wenn ich Ihr Vater wäre, ich würde Sie mit einer Heckenschere in die Mache nehmen
Wir sind auch mit kurzen Haaren groß geworden
Das ist doch alles diese Überfremdung
Ein Jahr Arbeitsdienst und die Haare wären weg
Das ist doch wohl ganz einfach eine Sache des geringsten Anstands
Ihr Friseur hat sich wohl den Arm gebrochen?
Ihnen ist wohl gleichgültig, wie Sie aussehen?
Die Haare kann man sich doch wenigstens schneiden lassen
Wir hätten so nicht vor unseren Lehrer treten können
Ich kann Sie mit meinem Wagen rasch zum Friseur fahren
Ich habe mir dann sagen lassen müssen
daß Gottes Mühlen langsam mahlen
daß der gesunde Menschenverstand immer noch die Richtschnur ist
daß ich nicht soviel rauchen soll
daß eine deutsche Frau in erster Linie Mutter ist
daß die moderne Kunst krankhaft ist
daß ich Vater und Mutter ehren soll
daß schon der geringste Anstand verlangt, zuerst Deutscher und dann Mensch zu sein
daß ich nicht alles negativ sehen soll

Ich habe mir dann sagen lassen müssen, daß ich indifferent bin
daß ich einen zu einseitigen Standpunkt habe
daß ich gar keinen Standpunkt habe
daß ich doch gleich nach Moskau gehen soll
daß ich ein Kleinbürger bin
daß ich verwahrlost bin
daß ich dafür zu jung bin
daß so die Freiheit nicht aussieht

Daß ich gerade gehen soll
daß ich konsequent sein soll
daß ich in eine Partei gehen soll
daß ich meine Butterbrote aufessen soll
daß ich auch mal zum Friedhof gehen soll
daß ich nicht ungewaschenes Obst essen soll
daß ich einen guten Eindruck machen soll
daß ich wieder wie ein Kind werden soll
daß ich wieder in meinen Laufstall soll
daß ich den Mund halten soll
daß ich meinen deutschen Laufstall nicht verlassen soll.