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Der Bock ist immer der Gärtner

Typ, der einst illegal 100.000 DM annahm, überwacht künftig ordnungsgemäße Parteispendenpraxis

Reinhard Mey - Vernunft breitet sich aus über die Bundesrepublik Deutschland!

»Es kommt durch die Dielenbretter, durch den Spalt unter der Tür,
Durch den Mauerriß, durch jeden Zwischenraum.
Es kommt durch die Heizungsrohre, es kommt durchs Fenster zum Hof,
Und es sieht aus wie ein guter alter Traum.
Und es gurgelt aus dem Abfluß,
Und es raunt im Tiefkühlfach,
Und es wispert hinterm Kaktus,
Und ein Vogel pfeift's vom Dach.
Und dann tritt das Gerücht furchtlos hinter der Schrankwand hervor,
Verdichtet sich zur Gewißheit und es flüstert mit im Chor:
„Das oberste Menschenverstandskommando gibt bekannt:
Vernunft breitet sich aus über die Bundesrepublik Deutschland!"

Ich lauf' runter auf die Straße, auch der Hauswart weiß es schon,
Sprüht es auf die Wand und gibt Vernunftalarm.
Es kommt zu rührenden Szenen tumultart'ger Harmonie,
Und Wildfremde fall'n sich schluchzend in den Arm.
Und da kommt es auch im Fernsehn,
Und jetzt steht's im Extrablatt:
Spontanes Einander-gern-Sehn
Erfaßt schon die ganze Stadt.
Und ein Marsch des guten Willens hat sich auf den Weg gemacht,
Aus Büros, Fabriken, Schulen, Häusern, aus dem U-Bahn-Schacht,
Unaufhaltsam wie ein Beben, mächtig wie ein Flächenbrand:
Vernunft breitet sich aus über die Bundesrepublik Deutschland!

Und schon werden über Akte der Vernunft Meldungen laut.
Da! Die ersten sinnvollen Dinge geschehn:
Es treten schon hier und da vermehrt Politiker zurück,
Ohne Leugnen, ohne Sichwinden und Dreh'n.
Vorbei sind die hohlen Sprüche,
Korruption und Kungelei.
Jetzt gibt's Ehrlichkeitsausbrüche.
Alle, alle sind dabei:
Hehler, Steuerhinterzieher, Geldwäscher und Dunkelmann
Treten in Bahamas und in Luxemburg den Heimweg an
Und eil'n zum Finanzamt mit dem Schwarzgeldkoffer in der Hand!
Vernunft breitet sich aus über die Bundesrepublik Deutschland!

Und die Wurzeln alten Übels werden endlich aufgedeckt
Und die Schuldigen geächtet und gebannt.
Und ein Gangster wird ein Gangster und ein Schuft wird jetzt ein Schuft
Und ein Rüstungsfabrikant Mörder genannt.
Und die schlechten Selbstgerechten,
Brandstifter und Biedermann
Und die ganzen rechten Schlechten
Zeigen sich von selber an.
Und die alten und die neuen Ewiggestrigen im Land,
Haben sich selbst abgeschoben, die Staatsbürgerschaft aberkannt.
Mancher kommt geläutert wieder, doch diesmal als Asylant.
Vernunft breitet sich aus über die Bundesrepublik Deutschland!

Kriegstreiber und Kirchenfürsten haben endlich ausgespielt,
Die Verdummungsindustrien geh'n bankrott.
Ab jetzt denkt man wieder selber, wir sind endlich, endlich frei,
Dogmen und Gegängel landen auf dem Schrott.
Schluß mit Häme und Gehetze,
Gepetze und Korruption,
Mit Vertuschung und Geschwätze
Und Verarschung der Nation.
Die gemarterte Kultur kommt langsam wieder auf den Damm:
Anstatt Fernsehwerbung läuft auch ab sofort wieder Programm,
Und der Mutantenstadl wird auf 1 Uhr nachts verbannt.
Vernunft breitet sich aus über die Bundesrepublik Deutschland!

Jetzt um alles in der Welt keine Bewegung, keinen Ton,
Jetzt nicht aufwachen, ganz stillhalten, nicht rühr'n.
Nur nichts hören, nur nichts sehen, nur nichts merken und wenn doch:
Dann nur nicht verzweifeln, nicht kapitulier'n!
Mit dem schönen Traum abtauchen
In die rauhe Wirklichkeit,
Denn ich werd' ihn dringend brauchen
In dieser verbohrten Zeit.
Ja, der Hauswart kratzt mit Bürste, Eifer, Fleiß und Terpentin
Fluchend an der Hauswand an der kühnsten aller Utopien.
Nur mein Pulsschlag pocht noch immer das Graffiti, das da stand:
Vernunft breitet sich aus über die Bundesrepublik Deutschland!
ernunft breitet sich aus über die Bundesrepublik Deutschlan
rnunft breitet sich aus über die Bundesrepublik Deutschla
nunft breitet sich aus über die Bundesrepublik Deutschl
unft breitet sich aus über die Bundesrepublik Deutsch«

Reinhard Mey - Nein, meine Söhne geb' ich nicht!

(Alleingang, 1986)

Ich denk', ich schreib' euch besser schon beizeiten
Und sag' euch heute schon endgültig ab.
Ihr braucht nicht lange Listen auszubreiten,
Um zu sehen, daß ich auch zwei Söhne hab'.
Ich lieb' die beiden, das will ich euch sagen,
Mehr als mein Leben, als mein Augenlicht,
Und die, die werden keine Waffen tragen,
Nein, meine Söhne geb' ich nicht!

Ich habe sie die Achtung vor dem Leben,
Vor jeder Kreatur als höchsten Wert,
Ich habe sie Erbarmen und Vergeben
Und wo immer es ging, lieben gelehrt.
Nun werdet ihr sie nicht mit Haß verderben,
Keine Ziele und keine Ehre, keine Pflicht
Sind's wert, dafür zu töten und zu sterben,
Nein, meine Söhne geb' ich nicht!

Ganz sicher nicht für euch hat ihre Mutter
Sie unter Schmerzen auf die Welt gebracht.
Nicht für euch und nicht als Kanonenfutter.
Nicht für euch hab' ich manche Fiebernacht
Verzweifelt an dem kleinen Bett gestanden,
Und kühlt' ein kleines glühendes Gesicht,
Bis wir in der Erschöpfung Ruhe fanden,
Nein, meine Söhne geb' ich nicht!

Sie werden nicht in Reih' und Glied marschieren
Nicht durchhalten, nicht kämpfen bis zuletzt,
Auf einem gottverlass'nen Feld erfrieren,
Während ihr euch in weiche Kissen setzt.
Die Kinder schützen vor allen Gefahren
Ist doch meine verdammte Vaterpflicht,
Und das heißt auch, sie vor euch zu bewahren!
Nein, meine Söhne geb' ich nicht!

Ich werde sie den Ungehorsam lehren,
Den Widerstand und die Unbeugsamkeit,
Gegen jeden Befehl aufzubegehren
Und nicht zu buckeln vor der Obrigkeit.
Ich werd' sie lehr'n, den eig'nen Weg zu gehen,
Vor keinem Popanz, keinem Weltgericht,
Vor keinem als sich selber g'radzustehen,
Nein, meine Söhne geb' ich nicht!

Und eher werde ich mit ihnen fliehen,
Als daß ihr sie zu euren Knechten macht,
Eher mit ihnen in die Fremde ziehen,
In Armut und wie Diebe in der Nacht.
Wir haben nur dies eine kurze Leben,
Ich schwör's und sag's euch g'rade ins Gesicht,
Sie werden es für euren Wahn nicht geben,
Nein, meine Söhne geb' ich nicht!