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Hanns-Dieter-Hüsch-Platz Altstadt Moers

Hanns Dieter Hüsch - Deutsche Zunge

Ich bin ein deutscher Herr
Ich bin ein hochdeutscher Herr
Ich bin des Deutschen mächtig
Ich habe einen deutschen Mund
Ich kann meinen deutschen Mund öffnen
- meinen deutschen Mund halten
- mit Hilfe meiner deutschen Zunge Deutschland sagen
- Dichter und Denker sagen
- meinen Mund öffnen, und mit Hilfe meiner deutschen Zunge
auf hochdeutsch dummes, armes, grausames, korruptes, heiliges,
vergammeltes, vergeistigtes, verfressenes, gebildetes, geteiltes,
verbundenes, verinnerlichtes Deutschland sagen
Ich kann Westdeutschland sagen
- Ostdeutschland sagen
- Bundesrepublik sagen
- sogenannte DDR sagen
- sagen, was ich will

Ich kann sogenannte sowjetisch besetzte Zone sagen
- sogenannte Bundesrepublik sagen
- alles durcheinander sagen
- sagen: Ich sage, wie es ist
- es mir ins Gesicht sagen

Ich kann mir in aller Ruhe sagen: Erkennt die Oder/Neiße-Linie an
Ich kann mir in allem Zorn sagen: Erkennt die Oder/Neiße-Linie an
Ich kann sagen: Ich kenne keine Polen
Ich kann sagen: Ich kenne keine Deutschen
Ich kann in meinen vier Wänden auf einen Stuhl klettern und kann es sagen
Ich kann es gegen die Wand sagen
- gegen die Decke sagen
- zum Fenster 'raus sagen
Ich kann meinen Kopf in einen Kochtopf stecken und in den
Kochtopf hinein sagen: Erkennt die Oder/Neiße-Linie an
Genau wie ich allein auf dem Felde, oder in einem Gebüsch ver-
steckt, «Brummbär» oder «Schaumgummi» sagen kann, kann ich
in einen Kochtopf hinein: Erkennt die Oder/Neiße-Linie an,
sagen

Ich kann es auf hochdeutsch sagen
- in Liedform sagen
- in Gedichtform sagen
- direkt sagen
- indirekt sagen
- verschlüsselt sagen
- künstlerisch wertvoll sagen
- lispelnd sagen
- offen sagen
- idiotisch sagen
- nebenbei sagen
- meinem Nachbarn sagen,
der kann es seinem Nachbarn sagen

Ich kann inzwischen Initiative sagen
Ich kann durch einen Wald laufen und ganz laut Initiative sagen
Ich kann mich in die Wüste setzen und
schrecklich laut: Erkennt die Oder/Neiße-Linie an,
sagen

Ich kann es als Gnom in der Wüste sagen
Ich kann in der Wüste Sachfragen sagen
Ihr könnt in der Wüste Sachfragen sagen
Alle Deutschen können auf hochdeutsch Sachfragen sagen
Alle Deutschen können in der Wüste auf hochdeutsch Sachfrage sagen
Alle Deutschen können als Gnom in der Wüste alles durchein-
ander sagen, können: Erkennt die Oder/Neiße-Linie an,
sagen
können sagen, was sie wollen
werden aber nicht gehört

Ich werde nicht gehört
Sie werden nicht gehört
Ihr werdet nicht gehört
Wir werden nicht gehört

Darum können wir Deutschen alles sagen.

Hanns Dieter Hüsch - Persönliche Empfehlung (1981)

Wenn die Krieger kommen

Lock sie aufs Dach der Taube
Lock sie ins Nest der Schwalbe
Lock sie in die Höhle der Löwin
Lock sie in den Wald der Rehe

Geh ihnen entgegen
Mit offenen Händen
Voll Brot und Salz
Obst und Wein

Daß sie sich verlaufen
Im Knüppelholz deiner Tugenden
Daß sie sich verirren
Im Labyrinth deiner Freundlichkeit

Mach sie staunend
Beschäme ihre Generäle und Präsidenten
Laß ihre Handlanger ins Leere laifen
Sei eine Tiefebene voll Höflichkeit

Dein Gewehr sei die Klugheit
Deine Kraft sei die Geduld
Deine Geschichte sei die Liebe
Dein Sieg sei dein schweigen

So daß sich die Landpfleger sehr verwundern

Hanns Dieter Hüsch - Das Phänomen

(Das neue Programm, 1980)

Was ist das für ein Phänomen
Fast kaum zu hören kaum zu sehn
Ganz früh schon fängt es in uns an
Das ist das Raffinierte dran

Als Kind hat man's noch nicht gefühlt
Hat noch mit allen schön gespielt
Das Dreirad hat man sich geteilt
Und niemand hat deshalb geheult

Doch dann hieß es von oben her
Mit dem da spielst du jetzt nicht mehr
Das möcht ich nich noch einmal sehn
Was ist das für ein Phänomen

Und ist man größer macht man's auch
Das scheint ein alter Menschenbrauch
Nur weil ein Andrer anders spricht
Und hat ein anderes Gesicht

Und wenn man's noch so harmlos meint
Das ist das Anfangsbild vom Feind
Er paßt mir nicht, er liegt mir nicht
Ich mag nicht und find ihn schlicht

Geschmacklos und hat keinen Grips
Und auserdem sein bunter Schlips
Dann setzt sich in Bewegung leis
Der Hochmut und der Teufelskreis

Und sagt man was dagegen mal
Dann heißt's: Wer ist denn hier normal
Ich oder er, du oder ich
Ich find den Typen widerlich

Und wenn du einen Penner siehst
Der sich sein Brot vom Dreck aufliest
Dann sagt ein Mann zu seiner Frau
Guck dir den Schmierfink, an die Sau

Verwahrlost bis zum dorthinaus
Ja früher warf man die gleich raus
Und heute muss ich sie ernähr'n
Und unsereins darf sich nicht wehr'n

Und auch die Gastarbeiterpest
Der letzte Rest vom Menschenrest
Die sollt man alle, das tät gut
Spießruten laufen lassen bis auf's Blut

Das hamwer doch schon mal gehört
Da hat man die gleich streng verhört
Verfolgt gehetzt und für und für
Ins Lager reingepfercht und hier

Hat man sie dann erschlagen all
Die Kinder mal auf jeden Fall
Die hatten keinem was getan
Was ist das für ein Größenwahn

das lodert auf im Handumdrehn
Und ist auf einmal Weltgeschehn
Denn plötzlich steht an jedenm Haus
Die Türken und Zigeuner raus

Nur weil kein Mensch derselbe ist
Und weiß und schwarz und gelbe ist
Wird er verbrannt ob Frau ob Mann
Und das fängt schon von klein auf an

Und wenn ihr heute Dreirad fahrt
Ihr Sterblichen noch klein und zart
Es ist doch eure schönste Zeit
voll Phantasie und Kindlichkeit

Laßt keinen kommen der da sagt
Dass ihm dein Spielfreund nicht behagt
Dann stellt euch vor das Türkenkind
daß ihm kein Leids und Tränen sind

Dann nehmt euch alle an die Hand
Und nehmt auch den der nicht erkannt
Daß früh schon in uns allen brennt
Das was man den Faschismus nennt

Nur wenn wir eins sind überall
Dann gibt es keinen neuen Fall
Von Auschwitz bis nach Buchenwald
Und wer's nicht spürt der merkt es bald

Nur wenn wir in uns alle sehn
Besiegen wir das Phänomen
Nur wenn wir in uns alle sind
Fliegt keine Asche mehr im Wind

Hanns Dieter Hüsch - Ich bin ein deutscher Lästerer

Ich habe mich von Kindesbeinen an zu einem deutschen Lästerer entwickelt
Ich habe meinen deutschen Laufstall nicht verlassen
Ich habe schon mit einem Jahr gesprochen
Ich habe schon mit vierzehn Monaten einen guten Eindruck gemacht
Ich habe schon mit 36 Monaten mir meinen Scheitel selbst gekämmt
Ich habe niemals Obst gegessen, wenn es nicht vorher stundenlang gewaschen war — wer weiß, durch wieviel Hände dieser Apfel schon gegangen ist
Ich habe in der Schule meine Butterbrote immer aufgegessen
Ich habe im Kindergottesdienst immer ausgesehen wie ein Schaf
Ich habe meine deutschen Bleyle-Hosen bis zum »gehtnichtmehr« getragen
Ich habe als Sextaner zur Oberprima aufgeschaut
Ich habe als Primaner Professoren für die Allergrößten gehalten
Ich habe mich dann geistig auf dem laufenden gehalten
Ich habe mich dann musisch auf dem laufenden gehalten
Ich habe mir dann sagen lassen müssen, daß ich ein internationaler Mauschler bin
Ich habe mir dann sagen lassen müssen, daß ein Volk wie eine Art Familie ist
Ich habe mir dann sagen lassen müssen, daß es Gott doch gar nicht gibt
Ich habe mir dann sagen lassen müssen, daß es Gott doch gibt
Ich habe mir dann sagen lassen müssen, daß ein deutscher Soldat mehr wert ist als ein russischer Soldat
Ich habe mir dann sagen lassen müssen, daß ein deutsches Kind biologisch viel höher steht als ein Zigeunerkind
Ich habe mir dann sagen lassen müssen, daß ich ein weltfremder Idiot bin
Ich habe mir dann sagen lassen müssen, daß ich doch mal zum Friseur gehen soll
Sie könnten sich auch mal die Haare schneiden lassen
Sie haben wohl kein Geld, zum Friseur zu gehen
Sie haben wohl wieder Ihre Trotzphase
Sie dürften mein Sohn nicht sein
Mit solchen Haaren
Ich müßte Ihr Chef sein
Mit solchen Haaren dürften Sie mir nicht kommen
Was sagen denn Ihre Eltern dazu
Bei Adolf hätten Sie so nicht herumlaufen können
Sie meinen wohl noch, das wäre schön
Würden Sie mir bitte einen Kamm kaufen
Ich kann Ihnen ja nichts sagen: Das ist diese Demokratie
Das ist ja dieser amerikanische Einfluß
Wenn ich Ihr Vater wäre, ich würde Sie mit einer Heckenschere in die Mache nehmen
Wir sind auch mit kurzen Haaren groß geworden
Das ist doch alles diese Überfremdung
Ein Jahr Arbeitsdienst und die Haare wären weg
Das ist doch wohl ganz einfach eine Sache des geringsten Anstands
Ihr Friseur hat sich wohl den Arm gebrochen?
Ihnen ist wohl gleichgültig, wie Sie aussehen?
Die Haare kann man sich doch wenigstens schneiden lassen
Wir hätten so nicht vor unseren Lehrer treten können
Ich kann Sie mit meinem Wagen rasch zum Friseur fahren
Ich habe mir dann sagen lassen müssen
daß Gottes Mühlen langsam mahlen
daß der gesunde Menschenverstand immer noch die Richtschnur ist
daß ich nicht soviel rauchen soll
daß eine deutsche Frau in erster Linie Mutter ist
daß die moderne Kunst krankhaft ist
daß ich Vater und Mutter ehren soll
daß schon der geringste Anstand verlangt, zuerst Deutscher und dann Mensch zu sein
daß ich nicht alles negativ sehen soll

Ich habe mir dann sagen lassen müssen, daß ich indifferent bin
daß ich einen zu einseitigen Standpunkt habe
daß ich gar keinen Standpunkt habe
daß ich doch gleich nach Moskau gehen soll
daß ich ein Kleinbürger bin
daß ich verwahrlost bin
daß ich dafür zu jung bin
daß so die Freiheit nicht aussieht

Daß ich gerade gehen soll
daß ich konsequent sein soll
daß ich in eine Partei gehen soll
daß ich meine Butterbrote aufessen soll
daß ich auch mal zum Friedhof gehen soll
daß ich nicht ungewaschenes Obst essen soll
daß ich einen guten Eindruck machen soll
daß ich wieder wie ein Kind werden soll
daß ich wieder in meinen Laufstall soll
daß ich den Mund halten soll
daß ich meinen deutschen Laufstall nicht verlassen soll.