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Georg Kreisler Collage

Heute vor 100 Jahren

Georg Kreisler

* 18. Juli 1922 † 22. November 2011

Georg Kreisler war Komponist, Dichter, Sänger, Wiener, Amerikaner, Jude.
Aber Schubladen mochte er nie.
Im Laufe seines Lebens schrieb Georg Kreisler etwa fünfzehn Theaterstücke, zwei komische Opern, drei Romane sowie fünf bis zehn andere Bücher, einige hundert Lieder, Sketche, Monologe, Artikel, Gedichte - was halt so anfällt. Er inszenierte, dirigierte, arrangierte, übersetzte, sang, schauspielerte, spielte Klavier in Spelunken, Opernhäusern, in Nachtlokalen, auf Riesenbühnen, Kabarettbühnen, Nacht­theatern, Privatpartys, in Konzertsälen oder Wirtshäusern. „Nicht nur meine Satiren, sondern fast alles, was ich schreibe, hat mit Humanität zu tun, im Gegensatz zur fortschreitenden Abschaffung der Humanität durch Politik und die Gesetze des Marktes. Zur Humanität gehören Toleranz, die Rücksichtnahme und vor allem die Liebe, mit der Menschen miteinander umgehen."

Tiercollage Fotobearbeitung

Georg Kreisler - Der Mensch muss weg

Wo der Pfeffer wächst, 1996

Wenn man so die Menschen tun und tänzeln sieht
Und um das Vermeintliche scharwenzeln sieht
Weiß man keinen Ausweg, keinen Rat
Und kommt nur zu einem Resultat:

Die Vögel zwitschern in den Zweigen
Die Heimchen husten hinterm Herd
Die Fische trösten sich durch Schweigen
Nur der Mensch, der stört!
Die Wicken wiegen sich im Winde
Die Falter fühlen was das heisst
Der Kuckuck fliegt mit seinem Kinde
Nur der Mensch, der beisst!

Kunterbunt wehen mitunter bunte Libellen Wellen am See
Finken trinken den Fluss aus, Meisen kreisen den Klee

Die Hügel bügeln ihre Schatten
Der Stern beleuchtet sein Versteck
Die Kuh ermattet auf den Matten
Nur der Mensch ist so roh
Und er stört das Niveau
Der muss raus aus dem Zoo Der muss weg!

Baumlang raffen die Giraffen ihre Knie hinauf
Zur Galerie hinauf
Pfeilschnell schnellen die Gazellen durch den Sand
Wie ein Komtenschwanz
Ho-ruck bremsen alle Gemsen, jede Gruppe stoppt
Sobald die Kuppe stoppt
Turmhoch flutet auch der gute Elefant
Im Elefantentanz

Vom Uhu bis zum Salamander
Erschuf der Himmel ein Gedicht
So schön passt alles zueinander
Nur der Mensch passt nicht!
Der Büffel schnüffelt erst sein Futter
Den Leich im Teich erreicht der Hecht
Der Widder wittert seine Mutter
Nur der Mensch riecht schlecht

Weder Maus ist die Fledermaus
Noch als Vogel fühlt sie sich wohl
Igel riegeln die Welt aus
Hasen grasen im Kohl
Die Erde ist in ihrem Grunde
Ein wechselweises Ringelreih'n
Denn Eulen heulen wie die Hunde
Und wunde Hunde können schreien

Schnecken kriegen Hörner wie die Ziegen
Fische können fliegen wie die Fliegen
Kröten können flöten wie die Katzen
Und die Katzen wie die Spatzen
Jeder kann von jedem was gewinnen
Alle können spinnen wie die Spinnen
Lediglich der Mensch hat keinen Zweck
Denn der Mensch bleibt ein Mensch

Der muss weg!

Georg Kreisler - Der Ausländer

Album: Lieder zum Fürchten, 1963

Was seh ich, als ich gestern auf der Straße geh?
Der Schreck tut mir heut noch weh
Oh Gott, einen Ausländer!
Er läßst die Leute still an sich vorbeigeh'n
Als wollt er sagen: "Wart, ich werd's euch zeigen!"

Ich bin doch sonst ein ruhiger und beherrschter Mann
Den nichts irritieren kann
Außer ein Ausländer
Als dieser plötzlich weiterging, da dacht ich, saperlot
Dem geh ich nach, ich bin doch Patriot!

Das ist wieder typisch!
Er ist doch schließlich nur ein Ausländer, nicht mehr!
Und geht so sorgenfrei
Als ob er Schweizer sei
Durch den Verkehr -
Ich muß hinterher

Das ist wieder typisch!
Er sieht den Leuten, die ihn anschaun, ins Gesicht
Und wenn er stehenbleibt
Wie's ihn gleich weitertreibt
Den Bösewicht! -
Mich bemerkt er nicht

Vor der großen Kirche auf dem Hügel
Bleibt der Schurke endlich stehn
Und er reißt die Augen auf
Als hätt' er diese Kirche nie gesehn!

Das ist wieder typisch!
Jetzt geht er in die Kirche rein, so ein Skandal!
Obwohl ich Schweizer bin
War ich noch niemals drin!
Doch dieses Mal
Bleibt mir keine Wahl -
Fatal!

Ich denke oft des Nachts, während mir das Blut gerinnt:
In anderen Ländern sind
Überhaupt nur Ausländer!
Doch hier versucht sich keiner einzunisten
Nur im Tessin, paar steinreiche Touristen
Dafür sind wir auch auf der ganzen Welt bekannt
Wir sind das einzige Land
Mit ausschließlich Inländern
Und wenn nicht grad Saison ist und 's kommt trotzdem wer vorbei
Dann schnappt ihn uns're die Fremdenpolizei

Das ist wieder typisch!
Ich mußte lange vorm Hotel auf Wache stehn
Ich denk', er kommt um acht
Was glauben Sie, was der macht?
Er kommt um zehn! -
Ich hab ihn gesehn

Das ist wieder typisch!
Er hatte nämlich nachts zuvor ein Rendezvous
In einer kleinen Bar
Doch als er hinkam, war
Die Bar schon zu -
Na, da gab er Ruh

Plötzlich spricht er mich an
Und schon nach den ersten Worten war ich platt -
Das war ja gar kein Ausländer
Das war ein Käufer aus der nächsten Stadt

Das ist wieder typisch!
Da kommt ein Ausländer
In unsre Stadt voll List
Geht überall aus und ein
Ich schleiche hinterdrein
Seh' alles, was er macht
Bleib' auf die ganze Nacht
Geh' selber nicht nach Haus
Und dann stellt sich heraus
Daß dieser Ausländer
Ein Einheimischer ist

Ist doch wieder typisch!