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Heinrich Heine - Werke, Gedichte 1853 und 1854
R. Löwit Verlag, 1971

Erinnerung aus Krähwinkels Schreckenstagen

Wir Bürgermeister und Senat,
Wir haben folgendes Mandat
Stadtväterlichst an alle Klassen
Der treuen Bürgerschaft erlassen.

Ausländer, Fremde, sind es meist,
Die unter uns gesät den Geist
Der Rebellion. Dergleichen Sünder,
Gottlob! sind selten Landeskinder.

Auch Gottesleugner sind es meist;
Wer sich von seinem Gotte reißt,
Wird endlich auch abtrünnig werden
Von seinen irdischen Behörden.

Der Obrigkeit gehorchen, ist
Die erste Pflicht für Jud und Christ.
Es schließe jeder seine Bude
Sobald es dunkelt, Christ und Jude.

Wo ihrer drei beisammen stehn,
Da soll man auseinander gehn.
Des Nachts soll niemand auf den Gassen
Sich ohne Leuchte sehen lassen.

Es liefre seine Waffen aus
Ein jeder in dem Gildenhaus;
Auch Munition von jeder Sorte
Wird deponiert am selben Orte.

Wer auf der Straße räsoniert,
Wird unverzüglich füsiliert;
Das Räsonieren durch Gebärden
Soll gleichfalls hart bestrafet werden.

Vertrauet Eurem Magistrat,
Der fromm und liebend schützt den Staat
Durch huldreich hochwohlweises Walten;
Euch ziemt es, stets das Maul zu halten.

Das Konstantin Wecker-Buch
 Isbn: 9783499152726 |  rororo | 1983

Konstantin Wecker - Was man sich merken muß

Hinterausgänge, am besten überwachsene, uneinsichtige,
solche, die man direkt vom Keller aus erreichen kann
(wobei hier der romantische Aspekt weniger zu berücksichtigen ist
als der zweckmäßige der schnellen Flucht).

Gute Freunde, unkontrollierte und noch nicht registrierte,
die im Parterre wohnen und eines ihrer Fenster immer angelehnt lassen.
Ferner: daß dieses Knacksen in der Telefonleitung
immer seltener auf eine normale Störung zurückzuführen ist.

Daß bestimmte Gespräche mit guten Bekannten in Kneipen
am besten leise oder besser nicht in Kneipen
oder höchstens in bestimmten Kneipen geführt werden sollten.

Flußläufe und Parks sind weniger zu beachten,
dagegen wäre es gut einen exakten Plan der städtischen
Kanalisation mit sich zu führen.

Auch sollte man sich merken,
daß heftiges Pochen an der Tür meistens nicht den Besuch
gutgelaunter
Freunde verkündet,
doch was man sich vor allem merken muß:
Irgendwann hat es keinen Sinn mehr,
sich zu verstecken.

Dann:
Kein Ticket nach Übersee,
sondern hierbleiben.
Brüllen.
Widerstehn.

Erich Fried - Tausendjähriges Reich

100 Gedichte ohne Vaterland
 Isbn: 9783803120441| Verlag Klaus Wagenbach | 1983

Vom Baum
ihrer Erkenntnisse
essen
Verfassungsschützer
Und wurzelnd in Blut

und Boden
reichlich gedüngt
mit Steuergeldern
und Untertanengesinnung
wuchert der Baum
Je mehr sie pflücken
desto mehr Erkenntnisse
trägt er

Also sind sie

wie Gott
erkennend
das Gute und Böse

Zumindest wie seine Engel
Würgeengel
Schweigeengel
Schwertengel
Wachengel
Schutzengel
(Staats- und
Verfassungsschutzengel)
Überall Engel
mit schnellfeuerflammendem Schwert
die alle
Sterblichen hindern
ihr Paradies zu erobern

Für paradiesische
Ruhe
und Ordnung
sorgen sie selbst
daß Löwe und Lamm

beisammen liegen
besänftigt
vom gleichen
Todesschuß
der sich löste
in Notwehr
besonders gegen das Lamm