Thomas Bernhard - Der deutsche Mittagstisch
Tintenfisch 17 Jahrbuch: Deuttsche Literatur 1979, Verlag Klaus Wagenbach, 1979
Eine Tragödie für ein Burgtheatergastspiel in Deutschland
Herr und Frau Bernhard, ihre Töchter, ihre Söhne, ihre Enkel, ihre Urenkel und deren engste Verwandte, achtundneunzig Personen um einen kleinen, nicht ganz runden Mittagstisch. Eiche natur.
HERR BERNHARD aufbrausend
Ihr müßt euch Zeit nehmen
FRAU BERNHARD
Die Zeit nehmen
HERR BERNHARD
Zum essen
Denkt an eure Mutter
und an die Mutter der Mutter eurer Mutter
Alle außer Herr und Frau Bernhard schauen sich an
FRAU BERNHARD
Die Revolution wird euch alle vernichten
dann habt ihr eine solche Suppe wie diese nicht mehr
DER JÜNGSTE DER URURENKEL schreit auf
Keine einzige Kartoffel mehr
DER ÄLTESTE DER URURENKEL
Keine einzige Kartoffel mehr
in ganz Deutschland
FRAU BERNHARD heiser
Weil die Krebsfürsorge alles aufgefressen hat
HERR BERNHARD
Und die Nato
AWACS
FRAU BERNHARD
Daß ihr mir nicht laut sagt
was wir gesagt haben
fragt: Ist die Suppe nicht gut
Alle nicken
DER ZWEITÄLTESTE URENKEL (nicht Ururenkel!)
Der neue Bundespräsident ist ein Nazi
DER DRITTÄLTESTE URURENKEL (nicht Urenkel!)
Und der alte Bundespräsident war auch ein Nazi
DER ÄLTESTE ENKEL
Die Deutschen sind alle Nazi
FRAU BERNHARD
Hört auf mit der Politik
eßt die Suppe
HERR BERNHARD springt auf
Jetzt hab ich aber genug
In jeder Suppe findet ihr die Nazis
schlägt mit den Händen in den noch vollen Suppenteller und schreit
Nazisuppe
Nazisuppe
Nazisuppe
FRAU BERNHARD ist aufgesprungen und schreit und zeigt mit dem Zeigefinger auf die Hose des Herrn Bernhard
Da seht
er hat seine Nazihose an
die Nazihose hat er an
DER ÄLTESTE URENKEL schreiend
Die Nazihose
die deutsche Vaternazihose
FRAU BERNHARD sinkt in ihren Stuhl zurück und schlägt die Hände vors Gesicht
Wie ich mich schäme
Mein Gott
Mein Gott grüßgott wie ich mich schäme
Wie Scheel
wie Scheel
wie Scheel
DIE JÜNGSTE URENKELIN laut
Und wie Carstens
und wie Carstens
FRAU BERNHARD
Muß das sein
HERR BERNHARD
Es ist immer das gleiche
kaum sitzen wir bei Tisch
an der Eiche
findet einer einen Nazi in der Suppe
und statt der guten alten Nudelsuppe
bekommen wir jeden Tag die Nazisuppe auf den Tisch
lauter Nazis statt Nudeln
FRAU BERNHARD
Mein lieber Mann
hör mich an
wir bekommen in ganz Deutschland keine Nudeln mehr
nur noch Nazis
ganz gleich wo wir Nudeln einkaufen
es sind immer nur Nazis
ganz gleich was für eine Nudelpackung wir aufmachen
es quellen immer nur noch Nazis heraus
und wenn wir das Ganze aufkochen
quillt es fürchterlich auf
Ich kann nichts dafür
Alle werfen ihre Suppenlöffel hin
DER JÜNGSTE URENKEL
Laßt doch die Mutter in Ruhe
FRAU BERNHARD mit dem Gesicht in der deutschen Mutterschürze, kleinlaut
Schließlich habt ihr ja alle
den Nazionalsozialismus mit dem Löffel gegessen
Alle stürzen sich auf die Frau Bernhard und erwürgen sie. Der älteste Urenkel schreit in die Stille hinein
Mutter
ENDE
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Konstantin Wecker - Den Parolen keine Chance
Den Parolen keine Chance
lasst sie nicht ans Tageslicht
lasst sie in den Grüften modern
öffnet ihre Gräber nicht
Volk, Nation und Vaterland
sind ihr krudes Kampfgebrüll
alles was dadurch verbrochen
war doch längst entsorgt im Müll.
Wenn sie jetzt den Menschenfängern
wieder aus den Mäulern sprudeln
lasst sie ungehört verdorren
lasst euch nicht dadurch besudeln.
Kriege mit Millionen Toten
haben sie uns eingebracht
Folter, Mord und Diktaturen -
Siegeszug brutaler Macht.
Nein ich hör nicht auf zu träumen
von der herrschaftsfreien Welt
wo der Menschen Miteinander
unser Sein zusammenhält.
Lasst uns jetzt zusammen stehen
es bleibt nicht mehr so viel Zeit,
lasst uns lieben und besiegen
wir den Hass durch Zärtlichkeit.
Nennt mich gerne einen Spinner,
Utopisten und naiv,
doch ich will nicht akzeptieren
was da aus dem Ruder lief.
Es gibt sicher schön're Lieder
wohlgefällig ausgedacht
doch ich glaube, hin und wieder
ist ein Aufschrei angebracht.
Ja, ich hab's schon oft besungen
doch ich wiederhol' mich gern
damals war das Schreckgespenst
zwar bedrohlich, doch noch fern
aber jetzt sind die Gespenster
wieder mal aus Fleisch und Blut
und es darf nicht mehr erwachen
was in ihnen drohend ruht!
Nein, ich hör nicht auf zu träumen
von der herrschaftsfreien Welt
wo der Menschen Miteinander
unser Sein zusammenhält.
Lasst uns jetzt zusammen stehen
es bleibt nicht mehr so viel Zeit,
lasst uns lieben und besiegen
wir den Hass durch Zärtlichkeit.