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Michael Krüger - Tintenfisch 17 Bücher

Thomas Bernhard - Der deutsche Mittagstisch
Tintenfisch 17 Jahrbuch: Deuttsche Literatur 1979, Verlag Klaus Wagenbach, 1979

Eine Tragödie für ein Burgtheatergastspiel in Deutschland
Herr und Frau Bernhard, ihre Töchter, ihre Söhne, ihre Enkel, ihre Urenkel und deren engste Verwandte, achtundneunzig Personen um einen kleinen, nicht ganz runden Mittagstisch. Eiche natur.
HERR BERNHARD aufbrausend
    Ihr müßt euch Zeit nehmen
FRAU BERNHARD
    Die Zeit nehmen
HERR BERNHARD
    Zum essen
    Denkt an eure Mutter
    und an die Mutter der Mutter eurer Mutter
Alle außer Herr und Frau Bernhard schauen sich an
FRAU BERNHARD
    Die Revolution wird euch alle vernichten
    dann habt ihr eine solche Suppe wie diese nicht mehr
DER JÜNGSTE DER URURENKEL schreit auf
    Keine einzige Kartoffel mehr
DER ÄLTESTE DER URURENKEL
    Keine einzige Kartoffel mehr
    in ganz Deutschland
FRAU BERNHARD heiser
    Weil die Krebsfürsorge alles aufgefressen hat
HERR BERNHARD
    Und die Nato
    AWACS
FRAU BERNHARD
    Daß ihr mir nicht laut sagt
    was wir gesagt haben
    fragt: Ist die Suppe nicht gut
Alle nicken
DER ZWEITÄLTESTE URENKEL (nicht Ururenkel!)
    Der neue Bundespräsident ist ein Nazi
DER DRITTÄLTESTE URURENKEL (nicht Urenkel!)
    Und der alte Bundespräsident war auch ein Nazi
DER ÄLTESTE ENKEL
    Die Deutschen sind alle Nazi
FRAU BERNHARD
    Hört auf mit der Politik
    eßt die Suppe
HERR BERNHARD springt auf
    Jetzt hab ich aber genug
    In jeder Suppe findet ihr die Nazis
    Diese Suppe eß ich nicht
schlägt mit den Händen in den noch vollen Suppenteller und schreit
    Nazisuppe
    Nazisuppe
    Nazisuppe
FRAU BERNHARD ist aufgesprungen und schreit und zeigt mit dem Zeigefinger auf die Hose des Herrn Bernhard
    Da seht
    er hat seine Nazihose an
    die Nazihose hat er an
DER ÄLTESTE URENKEL schreiend
    Die Nazihose
    die deutsche Vaternazihose
FRAU BERNHARD sinkt in ihren Stuhl zurück und schlägt die Hände vors Gesicht
    Wie ich mich schäme
    Mein Gott
    Mein Gott grüßgott wie ich mich schäme
    Wie Scheel
    wie Scheel
    wie Scheel
DIE JÜNGSTE URENKELIN laut
    Und wie Carstens
    und wie Carstens
FRAU BERNHARD
    Muß das sein
HERR BERNHARD
    Es ist immer das gleiche
    kaum sitzen wir bei Tisch
    an der Eiche
    findet einer einen Nazi in der Suppe
    Diese Suppe eß ich nicht
    und statt der guten alten Nudelsuppe
    bekommen wir jeden Tag die Nazisuppe auf den Tisch
    lauter Nazis statt Nudeln
FRAU BERNHARD
    Mein lieber Mann
    hör mich an
    wir bekommen in ganz Deutschland keine Nudeln mehr
    nur noch Nazis
    ganz gleich wo wir Nudeln einkaufen
    es sind immer nur Nazis
    ganz gleich was für eine Nudelpackung wir aufmachen
    es quellen immer nur noch Nazis heraus
    und wenn wir das Ganze aufkochen
    quillt es fürchterlich auf
    Diese Suppe eß ich nicht
    Ich kann nichts dafür
Alle werfen ihre Suppenlöffel hin
DER JÜNGSTE URENKEL
    Laßt doch die Mutter in Ruhe
FRAU BERNHARD mit dem Gesicht in der deutschen Mutterschürze, kleinlaut
    Schließlich habt ihr ja alle
    den Nazionalsozialismus mit dem Löffel gegessen
Alle stürzen sich auf die Frau Bernhard und erwürgen sie. Der älteste Urenkel schreit in die Stille hinein
    Mutter

ENDE

Konstantin Wecker - Den Parolen keine Chance

Den Parolen keine Chance
lasst sie nicht ans Tageslicht
lasst sie in den Grüften modern
öffnet ihre Gräber nicht

Volk, Nation und Vaterland
sind ihr krudes Kampfgebrüll
alles was dadurch verbrochen
war doch längst entsorgt im Müll.

Wenn sie jetzt den Menschenfängern
wieder aus den Mäulern sprudeln
lasst sie ungehört verdorren
lasst euch nicht dadurch besudeln.

Kriege mit Millionen Toten
haben sie uns eingebracht
Folter, Mord und Diktaturen -
Siegeszug brutaler Macht.

Nein ich hör nicht auf zu träumen
von der herrschaftsfreien Welt
wo der Menschen Miteinander
unser Sein zusammenhält.

Lasst uns jetzt zusammen stehen
es bleibt nicht mehr so viel Zeit,
lasst uns lieben und besiegen
wir den Hass durch Zärtlichkeit.

Nennt mich gerne einen Spinner,
Utopisten und naiv,
doch ich will nicht akzeptieren
was da aus dem Ruder lief.

Es gibt sicher schön're Lieder
wohlgefällig ausgedacht
doch ich glaube, hin und wieder
ist ein Aufschrei angebracht.

Ja, ich hab's schon oft besungen
doch ich wiederhol' mich gern
damals war das Schreckgespenst
zwar bedrohlich, doch noch fern

aber jetzt sind die Gespenster
wieder mal aus Fleisch und Blut
und es darf nicht mehr erwachen
was in ihnen drohend ruht!

Nein, ich hör nicht auf zu träumen
von der herrschaftsfreien Welt
wo der Menschen Miteinander
unser Sein zusammenhält.

Lasst uns jetzt zusammen stehen
es bleibt nicht mehr so viel Zeit,
lasst uns lieben und besiegen
wir den Hass durch Zärtlichkeit.