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Eugen Bracht Das Gestade der Vergessenheit
Eugen Bracht - Das Gestade der Vergessenheit
Öl auf Leinwand, 139 x 257 cm, 1889, Hessisches Landesmuseum Darmstadt

Franz Josef Degenhardt - In den guten alten Zeiten


Burg Waldeck, 1966

Dort im Südrandkrater, hinten an der Zwischenkieferwand,
wo im letzten Jahre noch das Pärchen Brennesseln stand,
wo es immer, wenn der Mond sich überschlägt, so gellend lacht,
drüben haust in einem Panzer aus der allerletzten Schlacht
jener Kerl mit lauter Haaren auf dem Kopf und im Gesicht,
zu dem, wenn es Neumond ist, unser ganzer Stamm hinkriecht.
Jener schlägt ein Instrument aus hohlem Holz und Stacheldraht
und erzählt dazu, was früher sich hier zugetragen hat
in den guten alten Zeiten.

Damals konnte der, der wollte, auf den Hinterkrallen stehn.
Doch man fand das Kriechen viel bequemer als das Aufrechtgehn.
Der Behaarte sagt, sie seien sogar geflogen, und zwar gut.
Aber keiner fand je abgebrochne Flügel unterm Schutt.
Über Tage und in Herden lebten sie zur Sonnenzeit,
doch zum Paaren schlichen sie in Höhlen, immer nur zu zweit.
Ihre Männchen hatten Hoden und ein bißchen mehr Gewicht,
doch ansonsten unterschieden sie sich von den Weibchen nicht
in den guten alten Zeiten.

Damals wuchsen fette Pflanzen überall am Wegesrand,
doch sie abzufressen galt als äußerst unfein in dem Land.
Man verzehrte Artgenossen, selbst das liebenswerte Schwein,
doch die aufrecht gehen konnten, fraß man nicht, man grub sie ein.
Manchmal durfte man nicht töten, manchmal wieder mußte man.
Ganz Genaues weiß man nicht mehr, aber irgendwas ist dran.
Denn wer Tausende verbrannte, der bekam den Ehrensold,
doch erschlug er einen einz’lnen, hat der Henker ihn geholt
in den guten alten Zeiten.

Wenn ein Kind ganz nackt und lachend unter einer Dusche stand,
dann bekam es zur Bestrafung alle Haare abgebrannt.
Doch war’s artig, hat’s zum Beispiel einen Panzer gut gelenkt,
dann bekam es zur Belohnung um den Hals ein Kreuz gehängt.
Man zerschlug ein Kind, wenn es die Füße vom Klavier zerbiß,
doch man lachte, wenn’s dem Nachbarkind ein Ohr vom Kopfe riß.
Blut’ge Löcher in den Köpfen zeigte man den Knaben gern,
doch von jenem Loch der Löcher hielt man sie mit Hieben fern
in den guten alten Zeiten.

Alle glaubten an den unsichtbaren gleichen Manitu,
doch der Streit darüber, wie er aussah, ließ sie nicht in Ruh.
Jene malten ihn ganz weiß und andre schwarz oder gar rot,
und von Zeit zu Zeit, da schlugen sie sich deshalb einfach tot.
Ob die Hand ganz rot von Blut war und die Weste schwarz von Dreck,
das war gleich, wenn nur die Haut ganz weiß war, ohne jeden Fleck.
Und den Mischer zweier Farben federte und teerte man
oder drohte ihm für nach dem Tode Feuerqualen an
in den guten alten Zeiten.

Und wer alt war, galt als weise, und wer dick war, galt als stark.
Und den fetten Greisen glaubte man aufs Wort und ohne Arg.
Und wenn Wolken sich am Abend färbten, freute man sich noch,
und man fraß ganz ruhig weiter, wenn die Erde brandig roch.
Denn vom Himmel fiel noch Wasser, und die Sonne war noch weit,
und der große Bär, der schlief noch, in der guten alten Zeit.
Und die Erde drehte sich nicht plötzlich rückwärts und im Kreis.
Doch man schaffte rüstig, bis es dann gelang, wie jeder weiß.
Und da war Schluß mit jenen Zeiten,
mit den guten alten Zeiten.

Und so hocken wir bei Neumond an der Zwischenkieferwand,
wo im letzten Jahre noch das Pärchen Brennesseln stand.
Und wir lauschen dem Behaarten, der sein Instrument laut schlägt.
Und wir lauschen, lauschen, lauschen nächtelang und unbewegt.
Und wir träumen von den guten alten Zeiten und dem Land,
wo man überall und jederzeit genug zu fressen fand.
Unsre Stammesmutter streichelt unser Jüngstes mit den Zehn,
manchmal seufzt sie: «O ihr Brutgenossen, war das früher schön
in den guten alten Zeiten.»


Kai Degenhardt, UZ-Pressefest, 2011

Eugen Bracht - Das Gestade der Vergessenheit (Detail) Gestade der Vergessenheit, Detail

Tiercollage Fotobearbeitung

Georg Kreisler - Der Mensch muss weg

Wo der Pfeffer wächst, 1996

Wenn man so die Menschen tun und tänzeln sieht
Und um das Vermeintliche scharwenzeln sieht
Weiß man keinen Ausweg, keinen Rat
Und kommt nur zu einem Resultat:

Die Vögel zwitschern in den Zweigen
Die Heimchen husten hinterm Herd
Die Fische trösten sich durch Schweigen
Nur der Mensch, der stört!
Die Wicken wiegen sich im Winde
Die Falter fühlen was das heisst
Der Kuckuck fliegt mit seinem Kinde
Nur der Mensch, der beisst!

Kunterbunt wehen mitunter bunte Libellen Wellen am See
Finken trinken den Fluss aus, Meisen kreisen den Klee

Die Hügel bügeln ihre Schatten
Der Stern beleuchtet sein Versteck
Die Kuh ermattet auf den Matten
Nur der Mensch ist so roh
Und er stört das Niveau
Der muss raus aus dem Zoo Der muss weg!

Baumlang raffen die Giraffen ihre Knie hinauf
Zur Galerie hinauf
Pfeilschnell schnellen die Gazellen durch den Sand
Wie ein Komtenschwanz
Ho-ruck bremsen alle Gemsen, jede Gruppe stoppt
Sobald die Kuppe stoppt
Turmhoch flutet auch der gute Elefant
Im Elefantentanz

Vom Uhu bis zum Salamander
Erschuf der Himmel ein Gedicht
So schön passt alles zueinander
Nur der Mensch passt nicht!
Der Büffel schnüffelt erst sein Futter
Den Leich im Teich erreicht der Hecht
Der Widder wittert seine Mutter
Nur der Mensch riecht schlecht

Weder Maus ist die Fledermaus
Noch als Vogel fühlt sie sich wohl
Igel riegeln die Welt aus
Hasen grasen im Kohl
Die Erde ist in ihrem Grunde
Ein wechselweises Ringelreih'n
Denn Eulen heulen wie die Hunde
Und wunde Hunde können schreien

Schnecken kriegen Hörner wie die Ziegen
Fische können fliegen wie die Fliegen
Kröten können flöten wie die Katzen
Und die Katzen wie die Spatzen
Jeder kann von jedem was gewinnen
Alle können spinnen wie die Spinnen
Lediglich der Mensch hat keinen Zweck
Denn der Mensch bleibt ein Mensch

Der muss weg!