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Ulrik Remy

* 24. Februar 1949 † Januar 2024

Der Wind wird stärker jeden Tag

 

Ich komm zurück nach ein paar Jahren,
hab fast die ganze Welt gesehn,
hab viel erlebt und viel erfahren,
und wurd' ich müde unterwegs, war da die Stimme,
die mir sagte: bleib nicht stehen!
dein Weg ist lang noch nicht zu ende,
und zuhause warten sie, daß du berichtest -
und dieses Bündel, das ich trag, mein Land,
das trieb mich heimwärts jeden Tag.

Ich seh, mein Land hat sich verändert
und auch die Leute, die drin leben;
was ich zurückliess, als ich fortging,
das ist vorbei, das ist verjährt, ist schon Geschichte, vergiss es,
das wird es nie mehr geben -
der geist der Freiheit und der Mut,
der aufrechte Gang, das freie Wort - sind längst vernichtet.
in meinem Land, das ich so mag,
weht kalter Wind, und der wird stärker jeden Tag.

Ich seh die Wälder, die verfaulen,
die Flüsse, die man betonierte;
es stinkt nach modder, nach verfall, nach kaltem schweiss,
und keiner weiß, wie es passierte -
doch macht man weiter wie bisher,
denn die Profite wiegen schwer, mehr als ein paar Fische.
bald gibt's kein Holz mehr für den Sarg: der Wind,
der Wind wird stärker jeden Tag.

Ich seh die Jungen, die noch suchen,
die ihren Weg jetzt finden wollen,
ich hör, wie man sie lau vertröstet,
wie man sie hinhält, sie verarscht mit hohlen Phrasen,
und sie wissen längst nicht mehr, was sie noch glauben sollen -
die Ideale ihrer Väter,
die verschiebt man jetzt auf später: erst lernst du kriechen!
Sonst gibt's den Job nicht, den man mag,
der Wind, der Wind wird stärker jeden Tag.
[Asche & Perlen, 1981]

Ich seh die Reichen reicher werden,
nach immer größerem Reichtum streben
und ich seh Kinder, alte Leute,
seh Familien die hart schuften
und trotzdem in Armut leben
wer reich und mächtig ist, bestimmt
wieviel er sich vom Kuchen nimmt
bevor geteilt wird,
was dann an Krümeln übrigbleibt
ist für den Rest, den kalter Wind durchs Leben treibt

Ich seh die Rechten, die marschieren,
die ihre Haßparolen schreien
da hör ich »Lügenpresse«, »Volksverräter«,
»Wir sind das Volk«,
und längst vergessne Bilder falln mir ein
in alten Wochenschauen, schwarzweiß
sah man genau den selben Scheiß
vor 90 Jahren, was daraus wurde ist bekannt
der Wind, der Wind weht kalt in diesem Land

Steht auf! Laßt euch nicht mehr belügen,
die Freiheit stirbt in kleinen Schritten
laßt euch nicht um euch selbst betrügen,
fangt an zu fordern euer Recht, zu fordern,
hört endlich auf zu bitten
glaubt denen nicht, die euch bestehlen
und längst nicht mehr die Schäfchen zählen. die sie schlachten
zeigt was Entschlossenheit vermag, ihr wißt doch,
der Wind wird stärker jeden Tag
zeigt was Entschlossenheit vermag und ihr werdet sehn
wir werden stärker jeden Tag
[aktualisiert 2017]

Verbogene Lieder

Heute vor 75 Jahren und ihre Lieder stimmen immer noch

Bettina Wegner

* 4. November 1947

Wenn meine Lieder nicht mehr stimmen
 

Wenn meine Lieder nicht mehr stimmen
Und keiner hört mir zu
Da lass' ich die Gitarre schwimmen
Und setze mich zur Ruh'

So viele Leute, die ich kenne
Die singen schön und aus Beruf
Zuviel, als daß ich Namen nenne
Versau' der Ehrlichkeit den Ruf

Wie oft hör' ich: "Was soll ich machen?
Ach, Ehrlichkeit bringt nicht viel ein
Da sing' ich lieber seichte Sachen
Kassier' mein Geld und sag' nicht Nein!"

Dann stell'n sie sich auf eine Bühne
Und singen irgendwelchen Mist
Ach! Mensch, besser, daß ich nichts verdiene
Eh' ich was singe, was nicht ist

Dann gibt's noch solche, die was zeigen
Die singen nicht, die machen frei
Und achten drauf, daß beim Verneigen
Vom Körper was zu sehen sei

Vergessen über Brust und Beinen
Daß es noch Wirklichkeiten gibt
Worüber ganze Völker weinen
Das Schlimme ist, die sind beliebt

Ich glaube, es ist nicht so bitter
Daß mich nicht jeder brauchen kann
Ich will nicht singen wie ein Zwitter
Nur vorher fragen: "Kommt das an?"

Wenn meine Lieder nicht mehr stimmen
Und jeder hört mir zu
Da lass' ich die Gitarre schwimmen
Und setze mich zur Ruh'

Collage mit Covern von Hannes Wader

Und es ist mir längst klar, daß nichts bleibt, wie es war! Heute vor 80 Jahren

Hannes Wader

* 23. Juni 1942

Lieder - Sonderausgabe, Juni 1982

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Umschlagfoto: Hansjörg Muder | Zweitausendeins | 1982

Eine Bilderbuchbiografie hat Hannes Wader nicht zu bieten. Als Arbeiterkind wurde er 1942 in der Gegend von Bielefeld geboren, absolvierte die Volksschule, wurde konfirmiert. Während seiner Lehrzeit als Dekorateur führte ihn sein Vater in das örtliche Mandolinenorchester ein, das dieser im Zuge der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung mitbegründet hatte. Ein Jahr nach der Lehre wurde das ungewöhnliche Startzeichen für das Dasein eines fahrenden Sängers gegeben: Hannes Wader erhielt seine Kündigung wegen Unfähigkeit, Streitsucht und Musizierens während der Arbeitszeit.
Der rausgeschmissene Dekorateur verdiente seinen Lebensunterhalt zunächst als Klarinettist und Saxophonist in Jazzcombos und mit musikalischer Gelegenheitsarbeit...

Noten

Heute hier, morgen dort

Heute hier, morgen dort
Bin kaum da, muß ich fort
Hab' mich niemals deswegen beklagt
Hab' es selbst so gewählt
Nie die Jahre gezählt
Nie nach Gestern und Morgen gefragt!

Manchmal träume ich schwer
Und dann denk' ich es wär'
Zeit zu bleiben und nun
Was ganz And'res zu tun
So vergeht Jahr um Jahr
Und es ist mir längst klar
Daß nichts bleibt
Daß nichts bleibt, wie es war!

Daß man mich kaum vermißt
Schon nach Tagen vergißt
Wenn ich längst wieder anderswo bin
Stört und kümmert mich nicht
Vielleicht bleibt mein Gesicht
Doch dem Ein' oder Ander'n im Sinn!

Manchmal träume ich schwer
Und dann denk' ich es wär'
Zeit zu bleiben und nun
Was ganz And'res zu tun
So vergeht Jahr um Jahr
Und es ist mir längst klar
Daß nichts bleibt
Daß nichts bleibt, wie es war!

Fragt mich einer, warum
Ich so bin, bleib ich stumm
Denn die Antwort darauf fällt mir schwer
Denn was neu ist wird alt
Und was gestern noch galt
Stimmt schon heut' oder morgen nicht mehr!

Manchmal träume ich schwer
Und dann denk' ich es wär'
Zeit zu bleiben und nun
Was ganz And'res zu tun
So vergeht Jahr um Jahr
Und es ist mir längst klar
Daß nichts bleibt
Daß nichts bleibt, wie es war!

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Heute vor 75 Jahren

Konstantin Wecker

* 1. Juni 1947

Das Konstantin Wecker-Buch

Konstantin Wecker im Gespräch mit Bernd Schroeder
rororo | 1983 | ISBN: 9783499152726 ))

Genug ist nicht genug,
ich laß mich nicht belügen.
Schon Schweigen ist Betrug,
genug kann nie genügen.



Vorwort: «Der Inhalt meiner Lieder bin ich selbst», sagt Konstantin Wecker in einem Interview. Der Inhalt dieses Buches ist er selbst, könnte ich an dieser Stelle sagen. Und das wäre Vorwort genug. Ich habe heute an Passagen des 10. Kapitels geschrieben. Unter der Überschrift Weckerleuchten geht es um die Frage: «Für wen schreibt Wecker?» Die Frage scheint töricht, und doch ist sie legitim, da sie an einen gestellt ist, der sich nicht einmal eine Fahne gewählt hat, um sie nun eine liebe Karriere lang den Fans um die Ohren zu wedeln. Wecker verändert sich ständig. Er bleibt nicht stehen. Er «stellt» sich heute «gegen den Wind» und «rennt» morgen «jungen Hunden hinterher». Er ist Herz, Kopf und Bauch, und das eine kann ohne das andere nicht sein. Den rahmt man sich nicht ein, denn ehe man sich's zur Betrachtung gemütlich gemacht, ist er schon wieder weg. Mit ihm muß man mitgehen oder ihn ziehen lassen. Wecker ist Unruhe, Widerspruch, Widerstand: er ist Bewegung, die sich bürgerlicher Kontrolle entzieht; er ist aber auch Genuß, Liebe, Zärtlichkeit, Menschlichkeit schlechthin. Wecker-Fans sieht man in Konzerten weinen und die Faust ballen. Das liegt bei ihm so nahe beisammen. Und er vermittelt es mit all seiner Kraft. Das letzte Kapitel dieses Buches ist nicht das letzte Kapitel im Leben des Konstantin Wecker. Darum ist dieses Buch nicht Biographie oder Fazit, sondern Bestandsaufnahme und Zwischenbilanz. Wir beide - er Musiker und Dichter, ich Journalist und Schriftsteller - haben lange Gespräche geführt. Wir erfüllen darin nicht Chronistenpflicht, sondern versuchen, Zusammenhänge zwischen Erlebtem und Geschriebenem aufzuspüren. Die Texte folgen dem Verlauf dieses Gespräches; ebenso die Bilder - von Alexander Wecker, dem Vater, ausgesucht. Mir hat die Arbeit an diesem Buch etwas bestätigt, das ich schon seit Jahren glaube: Konstantin Wecker ist einer der ganz Großen, eine absolute Ausnahmeerscheinung in der Liedermacherszene, wenn man ihn schon dort einordnet. Andere haben ihn schon mit Bob Dylan verglichen. Der Vergleich muß Konstantin bange und mutig zugleich machen. Mit seinen Vorbildern, Goethe, Benn, Rilke, Orff - um nur einige zu nennen - hat er's leichter, er braucht nicht neben ihnen zu stehen. Bewundern ist einfacher als sich messen. Konstantin Wecker - wie könnte es anders sein - führt ein sehr eigenwilliges, abwechslungsreiches Künstlerleben. Da gibt es die Gruppe, das Team Musikon, Haus und Studio in der Toscana, Konzerttourneen durch die deutschsprachigen Länder, Arbeitswut-Phasen und Ausbrüche. Ein Leben, das nicht ohne Widersprüche ist. Davon will dieses Buch erwas vermitteln; aber auch von der Sinnlichkeit und Lust, dem Sichselbsteinbringen und der ungeheuren künstlerischen Gewalt des Konstantin Wecker. Vom Vorwort zum Wort: «Das Wort muß eine Faust sein, kein Zeigefinger: Zuschlagen. Treffen.» (Wecker 1977)
Für wen ich dieses Buch geschrieben habe? Für alle, die nicht den Kopfeinziehen.

Bernd Schroeder

Kai Degenhardt - Desertieren

Album: Briefe aus der Ebene, 2002 cover

Wenn das Schreien wilder Gänse durch die Sommernacht
meinen Traum zerreißt und ich lieg noch wach,
wie der Tagmond am Himmel die Sonne streift,
und auf dem Ast vorm Fenster aufgereiht,
selbst die Raben frieren.

Beim Geschwafel über Coolness und Verantwortung
auf allen Kanälen, jedem Podium
man den Vorteil preist und die Solidarität,
wenn die Fahnen knallen, wo kein Laufthauch geht,
werde ich desertieren.

Schmeiß die Gitarre ins Auto,
dreh die Fenster runter,
um dem Fahrtwind nachzuspüren.
Da ist nichts, was ich verlier.
In die Dämmerung hinein,
und wenn die Sonne morgen steigt
liegt die Grenze hinter mir.

Ich stehe neben P.T. vorm SuperU,
und erneure meinen Schwur
mit einem Schluck hinüber zur Champagne.
Ich ruhe mich aus am Fuß des Mont Ventoux
Für meine Tingeltangel-Tour
von der Provence in die Bretagne.

Ich spiel die Straßen
von Grasse bis St. Marie
die Hafenpromenaden
und den Place-de-la-Comédie.
Trink den schweren Roten
und Käse zum Dessert,
schlaf im Wagen, wenn der Mond scheint,
lieg ich draußen am Meer.

Bin desertiert.
Die Gitarre im Auto
und die Fenster unten,
riech ich wie das Wetter wird.
Da ist nichts was ich verlier.
In die Dämmerung hinein
und wenn die Sonne morgen steigt
liegt die Grenze weit hinter mir.

An meinen Off-Day im Katharer-Land
Schick ich an Mary einen Brief,
Lederstiefel to the one I love.
Fahre weiter über den Atlantikstrand,
lieg in den Dünen von Contis,
sitz in der Bar am Hafen von Roscoff,

Schreibe ein zwei Verse
zwischen Muscheln und Bier,
nehme die Fähre um drei,
setze über nach Rosslare.
Spiel meinen letzten Gig
in Hughe's Pub
ending up with Mary's Jig,
nehme die Coastroad und hau ab.

Ich bin desertiert.
Die Gitarre im Auto
und die Fenster unten,
riech ich wie das Wetter wird.
Da ist nichts, was ich verlier.
In die Dämmerung hinein,
und wenn die Sonne morgen steigt
liegt auch diese Grenze hinter mir.

Dieter Süverkrüp - Es ritten zwei Herren

Album: Lied eines heiseren Kindes, 1983

Es ritten zwei Herren durch Wald und durch Feld,
zwei Herren von Stande und Einfluß und Geld.
Der eine in Erdöl und Raffinerie,
der andre in Siemens und Kernenergie.
Und kamen beim goldenen Abendschein
wohl in ein liebliches Tal hinein.
Und siehe, stolz wie ein Kaiserdom stund
ein Kraftwerk dort im blühenden Grund.
Da seufzte der Siemensaktionär:
»Fürwahr, es schmerzet mich gar zu sehr,
daß sich die Leut' nur an Kraftwerken störn
und demonstriern und aufbegehrn.
Atomsprengköpfe lagern zuhauf
landauf, landab. Das regt niemanden auf.
Auch gegen die Zeitbombe der Chemie,
die längst schon tickt, demonstrieren die nie.«
Der Herr von Erdöl sprach unbewegt:
»Die Sprengköpfe sind ja in Bunkern versteckt.
Und Gift ist nur selten mit Augen zu sehn,
derweilen die Kraftwerke offen rumstehn.
Der ganze Atomkrach übrigens tut
den Erdölgeschäften recht angenehm gut.
Das hat uns schon hübsche Sümmchen gebracht.
Die Presse hat großartig mitgemacht.«
Das traf den Herrn Siemensaktionär
nun sintemalen besonders schwer.
Drum wies er mit grimmigem Hintersinn
auf die drohende Energiekrise hin.
Und sagte: »Das ist doch verantwortungslos!
Die Ölreserven sind nicht so groß,
als daß man sie einfach verfeuern könnt'.
Sonst sind wir in zwanzig Jahren am End'!«
Doch diesen Vorwurf hinwiederum
nahm Herr von Erdöl erheblich krumm.
Er rief: »Wie Sie mit Kernkraft umgehn,
ist noch viel entsetzlicher mit anzusehn!
Sie scherzen damit - so ungefähr,
als ob es ein Großraumflugzeug wär
oder der Weltfrieden. Alles nur
wegen der Gunst der Konjunktur.
Sie wollen, was unsereins menschlich versteht,
Gewinne erbrüten, so schnell es geht.
Doch unser Geschäft als Ganzes ist
mitgefährdet durch Ihren Mist.
Wir wollen von unserem Lande hier
noch länger was haben, Sie und wir.
Doch ist es mal erst aus Geldgier verseucht...«
Er schluchzte, es ward das Auge ihm feucht.
»Na, na!« rief der Siemensaktionär,
»Wo nehmen Sie Ihre Aufmüpfigkeit her?
Das klingt ja beinahe schon radikal.
Das war doch bei Ihnen nicht immer der Fall.
Jahrzehntelang haben Sie unentwegt
Zechen um Zechen stillgelegt
und stiegen heimlich auf Erdöl um.
Doch auch nur aus Geldgier. - Oder warum?
Im Öl war die beßre Rendite drin!
Was anderes hatten doch Sie nicht im Sinn!
Dabei war schon damals den Fachleuten klar:
die Energie im Lande wird rar!« -
So redeten sie einander in Wut.
Der eine erhitzte des anderen Blut.
Und beinahe hätten sie sich verkracht.
Doch plötzlich haben sie laut losgelacht.
Sie riefen: »Was soll denn der alberne Zwist?
Wir wissen ja nun, daß Krise ist.
Bei etwas Gegenseitigkeit kann
jeder von uns was verdienen daran.« -
Sie boxten sich in die Rippen zum Spaß
und jauchzten: »Wir sind schon 'ne Klasse, was?«

Georg Kreisler - Der Ausländer

Album: Lieder zum Fürchten, 1963

Was seh ich, als ich gestern auf der Straße geh?
Der Schreck tut mir heut noch weh
Oh Gott, einen Ausländer!
Er läßst die Leute still an sich vorbeigeh'n
Als wollt er sagen: "Wart, ich werd's euch zeigen!"

Ich bin doch sonst ein ruhiger und beherrschter Mann
Den nichts irritieren kann
Außer ein Ausländer
Als dieser plötzlich weiterging, da dacht ich, saperlot
Dem geh ich nach, ich bin doch Patriot!

Das ist wieder typisch!
Er ist doch schließlich nur ein Ausländer, nicht mehr!
Und geht so sorgenfrei
Als ob er Schweizer sei
Durch den Verkehr -
Ich muß hinterher

Das ist wieder typisch!
Er sieht den Leuten, die ihn anschaun, ins Gesicht
Und wenn er stehenbleibt
Wie's ihn gleich weitertreibt
Den Bösewicht! -
Mich bemerkt er nicht

Vor der großen Kirche auf dem Hügel
Bleibt der Schurke endlich stehn
Und er reißt die Augen auf
Als hätt' er diese Kirche nie gesehn!

Das ist wieder typisch!
Jetzt geht er in die Kirche rein, so ein Skandal!
Obwohl ich Schweizer bin
War ich noch niemals drin!
Doch dieses Mal
Bleibt mir keine Wahl -
Fatal!

Ich denke oft des Nachts, während mir das Blut gerinnt:
In anderen Ländern sind
Überhaupt nur Ausländer!
Doch hier versucht sich keiner einzunisten
Nur im Tessin, paar steinreiche Touristen
Dafür sind wir auch auf der ganzen Welt bekannt
Wir sind das einzige Land
Mit ausschließlich Inländern
Und wenn nicht grad Saison ist und 's kommt trotzdem wer vorbei
Dann schnappt ihn uns're die Fremdenpolizei

Das ist wieder typisch!
Ich mußte lange vorm Hotel auf Wache stehn
Ich denk', er kommt um acht
Was glauben Sie, was der macht?
Er kommt um zehn! -
Ich hab ihn gesehn

Das ist wieder typisch!
Er hatte nämlich nachts zuvor ein Rendezvous
In einer kleinen Bar
Doch als er hinkam, war
Die Bar schon zu -
Na, da gab er Ruh

Plötzlich spricht er mich an
Und schon nach den ersten Worten war ich platt -
Das war ja gar kein Ausländer
Das war ein Käufer aus der nächsten Stadt

Das ist wieder typisch!
Da kommt ein Ausländer
In unsre Stadt voll List
Geht überall aus und ein
Ich schleiche hinterdrein
Seh' alles, was er macht
Bleib' auf die ganze Nacht
Geh' selber nicht nach Haus
Und dann stellt sich heraus
Daß dieser Ausländer
Ein Einheimischer ist

Ist doch wieder typisch!

Freiheit

Konstantin Wecker - Willy 2015

Freiheit hoaßt koa Angst habn, vor neamands

Album: Ohne Warum 2015 cover

Mei Willy, jetzt is wieder ganz schön was los hier bei uns und ich muss dich unbedingt noch einmal stören, nachdem ich mich über zehn Jahre nicht mehr zu Wort gemeldet hab.

Vielleicht bin ich ja zu hellhörig und ich hör die Flöhe husten, aber ich hab Angst, dass wir - hundert Jahre nach dem ersten Weltkrieg - wieder kurz vor einem neuen großen Krieg stehen.

Woasst es no, 68 war des, wo wir miteinander gegen den Krieg demonstriert haben, mei wia lang is des her. Fast a halbs Jahrhundert!

Damals san bloß de Amis in Vietnam g'standen, heit stehn wir Deutschen fast überall auf der Welt mit unsere Soldaten. I hätt's ja nicht geglaubt, dass´ wieder so weit kommt mit Deutschland.

Aber die Zeichen stehen auf Aufrüsten, und da hat wohl eine gewaltige Lobby ein gewaltiges finanzielles Interesse dran.

Kaputt machen, wieder aufbauen, neue Märkte, neue Waffen, neue Särge, neues Geld - das ist nun mal der Hauptantrieb unseres völlig kranken Wirtschaftssystems.

Die Medien manipulieren wie schon lange nicht mehr und was gut ist und böse, richtig und falsch wird uns wie eine bittere Medizin tagtäglich eingeflößt.

Und unsere Regierung? Die GroKo? Die schert sich wie gewohnt einen Dreck um das, was wir wollen.

Wenn die alle Leut´ fragen würden ob sie einen Krieg wollen, was glaubst du würden die Leut´ sagen?

Aber sie fragen nicht, sondern erklären uns, dass diesmal Deutschland statt am Hindukusch auf der Krim verteidigt wird.

Und sie wissen genau: Wiederholungen sind mächtiger als die Wahrheit, weil Menschen nun mal falscher Kriegspropaganda mehr Glauben schenken, je öfter sie die hören.

Mei Willy, manches bleibt erschreckend aktuell, woaßt as no, 1992 hab i gsungen:

Gestern habns an Willy daschlagn,
und heit und heit und heit und heit fangt des ois wieder an.

Und die Friedensbewegung?

Statt dass sich Hunderttausende gegen den drohenden Wahnsinn erheben, laufen sie in Scharen irgendwelchen völkischrassistischen Schwachköpfen und Möchtegernadolfs hinterher und kämpfen gegen die Islamisierung des Abendlandes.

Vor allem in Dresden, dieser schönen Stadt Erich Kästners, einer Stadt mit gerade mal 2,2 Prozent Ausländeranteil - diese Pegidisten sollten eher Angst haben vor einer Idiotisierung des Abendlandes.

Es wäre ja gut, wenn so viele auf die Straße gehen und sich empören, das gehört zum Wesen der Demokratie - aber bei Pegida machen es sich die Menschen zu einfach. Sie sind nicht bereit oder einfach nicht fähig, den wahren Gründen auf die Schliche zu kommen. Stattdessen sucht man sich die Ärmsten der Armen, um einen Schuldigen zu finden: die Flüchtlinge. Und dann wird da noch unterschieden zwischen Kriegs- und Wirtschaftsflüchtlingen. Als ob die sogenannten Wirtschaftsflüchtlinge nicht deswegen vor Hunger und Not fliehen, weil auch wir sie mit unserem Wirtschaftssystem und unserem Wohlstand in die Armut getrieben haben.

Aufklärung ist das Gebot der Stunde!

Den wahren Ursachen müssten sie auf den Grund gehen. Schon seit langem frage ich mich, weshalb es nicht jedem klar denkenden Menschen offensichtlich ist, dass jemand, der sich bereichert, weil er aus Geld mehr Geld macht, schlicht zu den Strauchdieben unserer Gesellschaft zählt, weshalb es auch eine Riesensauerei ist, die Armen, die Flüchtlinge, die Arbeitslosen und wen auch sonst noch mit derartigen Vorwürfen zu überziehen, gipfelnd in Entmenschlichungsvokabeln wie Schmarotzer oder Parasiten.
Nennen wir sie daher ruhig beim Namen, diese wirklichen Wegelagerer: es sind die Finanzspekulanten, die das Geld als Waffe benutzen, um anderen, den arbeitenden Menschen, das eigentlich wohlverdiente Geld zu klauen.

Gestern habns an Willy daschlagn,
und heit und heit und heit und heit fangt des ois wieder an.

Gestern habns an Willy daschlagn,
und heit und heit und heit und heit fangt des ois wieder an.

Du woaßt as Willy, i war immer Pazifist und da hat mas nicht leicht in diesen Zeiten.

PazifistInnen wurden und werden gerne verlacht, verspottet, beschimpft und beleidigt.

Man wirft uns Naivität vor. Na und? Lieber naiv als korrupt. Lieber seh ich die Welt mit Kinderaugen als mit den verblendeten Augen der Macht und der Gier. Wir sind angeblich feige, wir sollen Weicheier sein. Fragt sich, wie tapfer und harteiig es ist, andere für das eigene Wohlbefinden auf das Schlachtfeld zu schicken.

Sollen doch all die harten Männer spotten und schimpfen. Mein sanfter Vater hatte unter der Schreckensherrschaft Hitlers den Kriegsdienst verweigert. Und ich bin es seinem Andenken schuldig, nicht aufzugeben.

Ich möchte nicht, dass die Stimme des Pazifismus verlorengeht in einer Zeit des erneuten Säbelrasselns. Ich verstehe mich auch nicht einfach nur als ,,friedensbewegt" - nein, ich bin radikaler: Ich bin Pazifist und Romantiker, Träumer und Barde und ich glaube weiter an die Kraft der gewaltfreien Veränderung. Ungehorsam ist gefragt, Willy, Ungehorsam! Wir sollten Schulen des Ungehorsams gründen, um ein Gegengewicht zu schaffen gegen die Gehorsamsschulen des Militärs. Und zuallererst müssen wir PazifistInnen uns gegen die Nebelkerzen wehren, mit denen wir täglich beschossen werden.

Aber wenn sich der Nebel endlich gelichtet hat, sind wir dann auch bereit, aufzustehen? Was wäre, wenn der Friede kein Wunder bräuchte, sondern eine Revolution?

Ja - eine Revolution, Willy. Denn bei Heckler & Koch und Co knallen angesichts der weltweiten Kriege doch schon die Champagnerkorken an die Lüster.

Wir bräuchten wieder einen wie dich Willy.

Einen wie dich, einen der sein Maul aufmacht und schreit: ,,Halts Mei Faschist. Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg."

Aber i woaß, einige machen weida Willy, und die werden auch mehrer werdn, so wie du gesagt hast:

"Ma muass weiterkämpfen, weiterkämpfen, a wenn die ganze Welt an Arsch offen hat."

Gestern habns an Willy daschlagn,
aber heit, aber heit aber heit, heit halt ma zsamm.

Gestern habns an Willy daschlagn,
und heit, und heit und heit und heit halt ma zsamm.