
Dieter Hildebrandt - Was Recht ist muß Recht bleiben
Ausgebucht. Mit dem Bühnenbild im Koffer
Hörbuch, 2004, ISBN: 9783898309059
Penzberg, eine rote Enklave im schwarzen Umkreis des einstigen Wahlkreises von Franz Josef Strauß, Weilheim, ein nicht zu eroberndes sozialdemokratisches Nest im Allgäu. Mit Blick auf die Berge. Und mit Blick in die Vergangenheit. Da gibt es Erfreuliches. Zum Beispiel, dass Penzberg einmal in der Bayernliga Fußball gespielt hat. Aber auch, dass am Penzberger Sportplatz ein Denkmal steht, das an die Mordtage von Penzberg erinnert. 1972 stand ich das erste Mal davor und erfuhr von dieser Geschichte, die in den letzten, allerletzten Kriegstagen im April 1945 geschehen war. In jenen Tagen, als Hans Filbinger seine Pflicht, so sagt er, getan hat, wozu er ein Recht hatte. Das Recht von damals. Am 28. April 1945 hatten zwei amerikanische Armeen und eine französische die deutsche Reststreitmacht auf engstem Raum zusammengedrängt. Sie standen bereits in Freising, also ganz kurz vor München, in Ulm, nahe Kempten, in Regensburg und Passau. Die so genannte >Alpenfestung<, von der immer wieder die Rede war, die aber nie existiert hat, nicht einmal auf dem Obersalzberg mit den Villen der Bonzen, in denen ihre zitternden Angehörigen hockten: diese >Festung< wurde nur noch verteidigt durch ein paar Nebelwerfer, die im Falle eines Angriffs der Air Force das gesamte Berchtesgadener Tal in Nebel hüllen sollten. Überall sah man haufenweise abgelegte Uniformen, weil desertierte Soldaten Zivilkleidung angezogen hatten, SS-Einheiten kontrollierten und durchsuchten die Häuser nach weißen Fahnen und Fahnenflüchtigen. Der Krieg war aus. Die >Volksgenossen< verbrannten die Hitlerbilder und die Parteiausweise. In der Nacht lauschte man, ob man die amerikanischen Panzer schon hören konnte. Noch war nicht klar, in welcher Weise man das Kriegsende überstehen würde, aber bis hierher hatte man schon mal das Schlimmste überstanden. In der Nacht vom 27. zum 28. April hatte eine Gruppe um Hauptmann Gerngross den Radiosender München in Freimann besetzt und über die Mikrophone das Ende des Krieges verkündet. Das war nicht die Tat eines Wichtigtuers, der ja die paar Tage noch hätte abwarten können, nein, es war ein mutiger Schritt, um die Menschen aufzufordern, Städte, Dörfer, Fabriken, Brücken vor der Zerstörung zu retten. In Penzberg hatten ein paar Männer morgens um vier Uhr diesen Aufruf gehört und sich aufgemacht, um das Bergwerk von Penzberg vor der beabsichtigten Sprengung zu bewahren. Ebenso ging es um die Erhaltung des Wasserwerks. Das Rathaus wurde von früheren Politikern der SPD, der KPD und der Bayerischen Volkspartei besetzt, und der 1933 abgesetzte Bürgermeister Rummer übernahm die Geschäfte des Nazibürgermeisters Vonwerden. Plötzlich fuhren Soldaten eines Werferregiments in die Stadt ein. An der Spitze ein Hauptmann, der seinen Oberstleutnant Ohm empört darüber informierte, was hier passiert war. Offensichtlich waren das Offiziere, die an den >Endsieg< durch diese legendären Wunderwaffen, die in den Alpen versteckt sein sollten, glaubten und an den Führer und an die Alpenfestung, die sie wahrscheinlich unentwegt gesucht hatten. Dann stieß noch der Schnellrichter Oberstleutnant Bauernfeind hinzu. Von nun an ging es schnell. Die Wehrmacht verhaftete die neue Stadtregierung. Oberstleutnant Ohm bekam vom Gauleiter Gieseler in München den erbetenen Befehl, die >Verräter< zu füsilieren, und die acht Männer wurden sofort erschossen. Inzwischen hatte der Gauleiter den Sender in Freimann zurückerobert und einen flammenden Aufruf zum Durchhalten in das Mikrophon gebrüllt. Dann nahm er seinen Wagen und floh. Am Abend rauschte eine Hundertschaft von bewaffneten >Werwölfen< in die Stadt. Führer dieser Mordbande war der Nazidichter Hans Zöberlein. Hans Zöberlein (1898-1964), Brigadeführer der SA, glühender Verehrer Hitlers seit den 20er Jahren, Münchner NSDAP-Stadtrat und Romanschriftsteller für Kriegsangelegenheiten, später Führer der Werwolf-Bewegung. Originaltext: >Das Reich wird kommen! Das Reich, von dem du so hoffnungsfroh geträumt. Einer von uns, Dietrich Eckart, hat zuerst von ihm gekündet. Noch fern - ganz fern -, aber er hat schon sehen können: Adolf Hitler wird euch hinführen. Der allein ist es, der das kann! - Sonst keiner!< Zöberlein hat seine Leute in die Häuser von Penzberg gehetzt, um ortsbekannte Regimegegner aus den Kellern zu holen, in denen sie sich versteckt hatten. Sie wurden schnell entdeckt, weil viele Bürger der Stadt verraten haben, wo sie waren. Dann hat man sie aufgehängt. Zwei Frauen und sechs Männer. Anschließend feierte man weithin hallend den Sieg gegen die Verräter. Am Tag darauf war der Spuk vorbei, denn amerikanische Panzer rollten in die Stadt. Die Zahl der Bevölkerung hatte sich nicht verändert. Aber es gab keine Nazis mehr. Wie überall. Zöberlein musste sich drei Jahre später wegen Massenmordes verantworten. Er wurde zum Tode verurteilt. Ein Jahr später wurde die Strafe in lebenslange Haft umgewandelt. Er blieb im Gefängnis bis Ende der 50er Jahre. Starb 1964. Im Bett. Er hat nie etwas bereut, hielt sich für einen aufrechten, tapferen Verteidiger des Vaterlands. Das Recht war ja auf seiner Seite. Das damalige. Übrigens war das spätere Schicksal der anderen Mörder auch erträglich. Oberstleutnant Ohm wurde 1956 freigelassen, Oberstleutnant Bauernfeind 1950 freigesprochen. Nur die Opfer waren tot.