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Michel und seine Kappe, Eulenspiegel 1848
Michel und seine Kappe, Eulenspiegel 1848

Zupfgeigenhansel - Mein Michel

Du hast Bataillone, Schwadronen,
Batterien, Maschinengewehr,
du hast auch die größten Kanonen.
Mein Michel, was willst du noch mehr?

Du hast zwei Dutzend Monarchen,
Lakaien und Pfaffen ein Heer,
beseeligt kannst du da schnarchen.
Mein Michel, was willst du noch mehr?

Du hast ungezählt Paragraphen,
die Gefängnisse werden nicht leer,
du kannst auch in Schutzhaft drin schlafen.
Mein Michel, was willst du noch mehr?

Du hast die beträchtlichsten Steuern,
deine Junker plagen sich sehr,
um dir das Brot zu verteuern.
Mein Michel, was willst du noch mehr?

Du hast Kohlrüben und Eicheln,
und trägst du nach anderem Begehr,
so darfst du am Bauche dich streicheln.
Mein Michel, was willst du noch mehr?

Du darfst exerzieren, marschieren,
am Kasernenhof die Kreuz und die Quer,
und dann für den Kaiser krepieren.
Mein Michel, was willst du noch mehr?

 

Bernt Engelmann Fotocollage

Heute vor 100 Jahren

Bernt Engelmann

* 20. Januar 1921 † 14. April 1994

Einig gegen Recht und Freiheit - Deutsches Anti-Geschichtsbuch 2. Teil
Fischer Taschenbuch Verlag | 1978 | ISBN: 9783596218387

Der Reichspräsident: Paul v. Hindenburg war indessen nicht bloß ein einfallsloser Gamaschenknopf, recht bornierter Militär und, was Treuepflichten betraf, nur an denen seiner Untergebenen zu ihm, nicht umgekehrt, interessierter Vertreter des autoritären Obrigkeitsstaats-Gedankens; er hatte auch - in dieser Hinsicht ganz ähnlich wie Bismarck - die von keinen Skrupeln geplagte Vorstellung, daß er ein Junker sei und davon seinen Vorteil haben müsse. Seit seinem 80. Geburtstag im Jahre 1927 zählte er zu den ostelbischen Großgrundbesitzern. Unter Führung des erzkonservativen Multimillionärs Elard v. Oldenburg-Januschau, Mitglied der deutschnationalen Reichstagsfraktion, hatten die Großagrarier Pommerns und Ostpreußens unter sich und bei der Schwerindustrie einen Millionenbetrag gesammelt und ihrem zum Staatsoberhaupt gewählten Standesgenossen zu dessen Jubelfest das ostpreußische Schloß und Rittergut Neudeck geschenkt, das der Stammsitz derer v. Beneckendorff und v. Hindenburg war. Schon dieses Millionengeschenk und seine Annahme durch den amtierenden Reichspräsidenten ließ die Unbekümmertheit erkennen, mit der sich Hindenburg und seine aristokratischen Freunde über gesetzliche Bestimmungen und gute Sitten hinwegsetzten; jeder Amtsvorsteher oder Lehrer, der sich von Dorfhonoratioren oder begüterten Eltern ein paar hundert Mark zum Geburtstag hätte schenken lassen, wäre dafür bestraft worden. Ebert war monatelang von der gesamten Rechtspresse mit Verleumdungen überschüttet worden, weil er einmal von Geschäftsleuten, die in keiner direkten Beziehung zu ihm standen, einen Frühstückskorb ins Haus geschickt bekommen hatte, der zudem postwendend an die Absender zurückgesandt worden war. Eberts Nachfolger, v. Hindenburg, nahm ein ungleich wertvolleres Geschenk nicht nur bedenkenlos an, obwohl er genau wußte, daß die edlen Spender sehr konkrete Vorstellungen von den Gegenleistungen hatten, die sie dafür erwarteten; er ließ es als Reichspräsident sogar zu, daß mit dem von ihm gern angenommenen Geschenk eine Steuerhinterziehung verbunden war: »In Anbetracht des hohen Alters Eurer Exzellenz«, hatte ihm dazu Elard v. Oldenburg-Januschau, Hindenburgs neuer Gutsnachbar, augenzwinkernd erklärt, habe man Neudeck pro forma auf den Namen des Präsidentensohns Oskar ins Grundbuch eintragen lassen; so würde der Staat später keine Erbschaftssteuer kassieren können.

Hans Scheibner - Gutes aus Deutschland

Scheibnerweise, dtv, 1982

Lieber Gott, wer hat alle die Autos gemacht?

Mein Kind, die Autos hat sich ausgedacht
ein Mann mit Phantasie und Verstand
aus meinem fleißigen deutschen Land.

Lieber Gott, wer hat die Atombombe erfunden?

Mein Kind, die hat in mühsamen Stunden
ein Mann der deutschen Wissenschaft
erdacht mit seines Geistes Kraft.

Lieber Gott, wer war der größte Faschist?

Mein Kind, wie naseweis du bist.
Das war ein schrecklich verwirrter Geist
in jenem Land, das Deutschland heißt.

Lieber Gott, wo kommt der Kommunismus her?

Mein Kind, die große Beglückungslehr,
die da besagt, daß ich nicht bin:
deutschen Philosophen kam sie in den Sinn.

Lieber Gott - kommt aus Deutschland auch Gutes?

Aber ja, mein Kind, aber ja, das tut es!
Die frommen Bayern und die Sieben Zwerge.
Und die praktischen deutschen Eichensärge!

Hanns-Dieter-Hüsch-Platz Altstadt Moers

Hanns Dieter Hüsch - Deutsche Zunge

Ich bin ein deutscher Herr
Ich bin ein hochdeutscher Herr
Ich bin des Deutschen mächtig
Ich habe einen deutschen Mund
Ich kann meinen deutschen Mund öffnen
- meinen deutschen Mund halten
- mit Hilfe meiner deutschen Zunge Deutschland sagen
- Dichter und Denker sagen
- meinen Mund öffnen, und mit Hilfe meiner deutschen Zunge
auf hochdeutsch dummes, armes, grausames, korruptes, heiliges,
vergammeltes, vergeistigtes, verfressenes, gebildetes, geteiltes,
verbundenes, verinnerlichtes Deutschland sagen
Ich kann Westdeutschland sagen
- Ostdeutschland sagen
- Bundesrepublik sagen
- sogenannte DDR sagen
- sagen, was ich will

Ich kann sogenannte sowjetisch besetzte Zone sagen
- sogenannte Bundesrepublik sagen
- alles durcheinander sagen
- sagen: Ich sage, wie es ist
- es mir ins Gesicht sagen

Ich kann mir in aller Ruhe sagen: Erkennt die Oder/Neiße-Linie an
Ich kann mir in allem Zorn sagen: Erkennt die Oder/Neiße-Linie an
Ich kann sagen: Ich kenne keine Polen
Ich kann sagen: Ich kenne keine Deutschen
Ich kann in meinen vier Wänden auf einen Stuhl klettern und kann es sagen
Ich kann es gegen die Wand sagen
- gegen die Decke sagen
- zum Fenster 'raus sagen
Ich kann meinen Kopf in einen Kochtopf stecken und in den
Kochtopf hinein sagen: Erkennt die Oder/Neiße-Linie an
Genau wie ich allein auf dem Felde, oder in einem Gebüsch ver-
steckt, «Brummbär» oder «Schaumgummi» sagen kann, kann ich
in einen Kochtopf hinein: Erkennt die Oder/Neiße-Linie an,
sagen

Ich kann es auf hochdeutsch sagen
- in Liedform sagen
- in Gedichtform sagen
- direkt sagen
- indirekt sagen
- verschlüsselt sagen
- künstlerisch wertvoll sagen
- lispelnd sagen
- offen sagen
- idiotisch sagen
- nebenbei sagen
- meinem Nachbarn sagen,
der kann es seinem Nachbarn sagen

Ich kann inzwischen Initiative sagen
Ich kann durch einen Wald laufen und ganz laut Initiative sagen
Ich kann mich in die Wüste setzen und
schrecklich laut: Erkennt die Oder/Neiße-Linie an,
sagen

Ich kann es als Gnom in der Wüste sagen
Ich kann in der Wüste Sachfragen sagen
Ihr könnt in der Wüste Sachfragen sagen
Alle Deutschen können auf hochdeutsch Sachfragen sagen
Alle Deutschen können in der Wüste auf hochdeutsch Sachfrage sagen
Alle Deutschen können als Gnom in der Wüste alles durchein-
ander sagen, können: Erkennt die Oder/Neiße-Linie an,
sagen
können sagen, was sie wollen
werden aber nicht gehört

Ich werde nicht gehört
Sie werden nicht gehört
Ihr werdet nicht gehört
Wir werden nicht gehört

Darum können wir Deutschen alles sagen.

Erich Kästner - Die andere Möglichkeit

So weit die scharfe Zunge reicht

Klaus Budzinski, Die Anthologie des deutschsprachigen Cabarets, Scherz Verlag, 1964

Wenn wir den Krieg gewonnen hätten,
mit Wogenprall und Sturmgebraus,
dann wäre Deutschland nicht zu retten
und gliche einem Irrenhaus.

Man würde uns nach Noten zähmen
wie einen wilden Völkerstamm.
Wir springen, wenn Sergeanten kämen,
vom Trottoir und stünden stramm.

Wenn wir den Krieg gewonnen hätten,
dann wären wir ein stolzer Staat.
Und preßten noch in unsern Betten
die Hände an die Hosennaht.

Die Frauen müßten Kinder werfen.
Ein Kind im Jahre. Oder Haft.
Der Staat braucht Kinder als Konserven.
Und Blut schmeckt ihm wie Himbeersaft.

Wenn wir den Krieg gewonnen hätten,
dann wird der Himmel national.
Die Pfarrer trügen Epauletten.
Und Gott wär deutscher General.

Die Grenze wär ein Schützengraben.
Der Mond wär ein Gefreitenknopf.
Wir würden einen Kaiser haben
und einen Helm statt einem Kopf.

Wenn wir den Krieg gewonnen hätten,
dann wäre jedermann Soldat.
Ein Volk von Laffen und Lafetten!
Und ringsherum wär Stacheldraht.

Dann würde auf Befehl geboren.
Weil Menschen ziemlich billig sind.
Und weil man mit Kanonenrohren
allein die Kriege nicht gewinnt.

Dann läge die Vernunft in Ketten.
Und stünde stündlich vor Gericht.
Und Kriege gäb's wie Operetten.
Wenn wir den Krieg gewonnen hätten -

Zum Glück gewannen wir ihn nicht!

Hans Hellmut Kirst - Die Nächte der langen Messer

Roman | Isbn: 9783453008700 | Heyne | 1979
Ersterscheinung 1975, der Titel bezieht sich auf den Röhm-Putsch von 1934

»Sie waren Mörder, doch wurden sie weder verfolgt noch bestraft. Denn sie handelten auf "höheren Befehl". Das allein war ihre Rechtfertigung - auch als der Krieg schon längst vorbei war. Hans Helmut Kirst hat sich in seiner unnachahmlichen Art mit einem der düsteren Kapitel der jüngsten Vergangenheit beschäftigt . Er hat eine SS-Eliteeinheit die im Verborgenen wirkte und skrupellos politische Gegner umbrachte, aufs Korn genommen.«