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Lion Feuchtwanger - Erfolg

Drei Jahre Geschichte einer Provinz

Taschenbuch, Fischer 1989, ISBN: 9783596216505

»Erfolg ist der Titel eines Zeitromans von Lion Feuchtwanger. Der Untertitel lautet Drei Jahre Geschichte einer Provinz. Er entstand in den Jahren 1927-1930 und erschien 1930. Zusammen mit den Romanen Die Geschwister Oppermann und Exil gehört er zu Feuchtwangers ,,Wartesaal-Trilogie". Er weist deutliche Elemente eines Schlüsselromans auf.
Im zweiten Teil des Romans nimmt die Bewegung Rupert Kutzners und der Wahrhaft Deutschen - Chiffre für die NSDAP - einen immer größeren Raum ein. Kutzner trägt deutlich Züge Hitlers, und die Beschreibung seines Aufstandes entspricht dem Hitler-Ludendorff-Putsch von 1923. General Vesemann ist eine literarische Kopie Erich Ludendorffs. Feuchtwanger betont besonders, wie die breite Bevölkerung Kutzner unterstützt, wie aber auch die konservativen Kräfte in Bayern die Kutzner-Bewegung benutzen, um ihre eigenen Interessen durchzusetzen, womit sie aber erst Kutzners Aufstieg ermöglichen.« Wikipedia

Die Besorgten Bürger

Immer bestimmter verlautete, die Patrioten würden bald losschlagen. Von einem Montag zum andern wartete man, Kutzner werde jetzt den genauen Tag ansagen. Immer dichtere Massen strömten zu seinen Versammlungen, Beamte und Angestellte erzwangen sich früheren Büroschluß, um sich einen Platz zu erstehen. Keiner wollte die Verkündigung des Freiheitstages versäumen.
In einem der blauen Straßenbahnwagen, die zum Kapuzinerbraukeller fuhren, stand, gepreßt zwischen andern, die zum Kutzner wollten, der Altmöbelhändler Cajetan Lechner. Er war in Holland gewesen, er hatte das Schrankerl wiedergesehen. Der Holländer hatte ihn zum Essen eingeladen. Es war gut und reichlich gewesen; allein der Lechner, befangen durch die Dienerschaft und das ungewohnte Besteck, hatte nicht recht zugegriffen. Hinterher hatte er geschimpft auf den Holländer, den Geizhammel, den notigen, der einen hungern läßt. Aber Aufnahmen jedenfalls von dem Schrankerl hatte er gemacht, gute Aufnahmen, er stand oft davor, das Herz voll Zärtlichkeit, empört über die Regierung, die ihn erst gezwungen hatte, sich von dem Schrankerl zu trennen, und dann duldete, daß ihm ein galizischer Jud das gelbe Haus vor der Nase wegkaufte. Er ging zum Kutzner, überzeugt, der Führer werde ihn rächen und bewirken, daß er doch noch hochkommt.
Als er aus der Straßenbahn stieg, rempelte ihn einer derb an, entschuldigte sich: »Hoppla, Herr Nachbar.« Es war der Hautseneder. Der Lechner haßte diesen seinen Mieter vom Unteranger; noch schwebte der Prozeß, weil damals der Hautseneder seinen Hausherrn aus dem zweiten Stock hinausgeschmissen hatte. Jetzt stand man nebeneinander, dicht gedrängt, schob sich gemeinsam vor. Man grollte noch ein bißchen, grantelte einander an, aber schließlich wurde man zusammen in den Saal gespült, an einen Tisch. Man konnte nicht umhin, brummig Rede und Gegenrede zu tauschen. Es war gut eine halbe Stunde vor Beginn, aber schon war der Saal dick voll. In den tiefhängenden Wolken des Tabakrauchs schwammen tomatenrote Rundschädel mit Schnauzbärten, graue Tonkrüge. Verkäufer riefen aus: »Die verbotene Nummer des >Vaterländischen Anzeigers<«; denn die Behörden verboten zuweilen, aber sie achteten nicht auf die Durchführung ihres Verbots. Man wartete geruhsam, schimpfte derweilen über die Ungerechtigkeit der Regierung. Frau Therese Hautseneder zum Beispiel hatte die Unbill der neuen Ordnung am eigenen Leib zu spüren bekommen. Ein Reisender hatte ihr einen Staubsauger Apollo verkauft, auf Abzahlung. Dann war ein anderer Reisender gekommen, der bot ihr einen Staubsauger Triumph an, auch auf Abzahlung, etwas billiger. Das mit dem andern Vertreter, erklärte er, werde er ordnen. Er ordnete aber nicht, und nun sollte sie beide zahlen. Herr Hautseneder, tagsüber in der Sendlinger Linoleumfabrik beschäftigt, erklärte, er denke nicht daran, den Lohn von vier Monaten für ihre damischen Faxen zu opfern; sie sei überhaupt narrisch, und er lasse sich scheiden. Frau Hautseneder ihrerseits beschloß, in die Isar zu gehen. Es kam zu einem umständlichen Prozeß. Die Rechtsanwälte sprachen von Vorspiegelung falscher Tatsachen, von Schlüsselgewalt und ähnlichem. Das Ganze endete mit einem flauen Vergleich, der niemanden befriedigte, und damit, daß Herr und Frau Hautseneder, sowie die Vertreter von Apollo und Triumph, mißvergnügt über die bestehende Gesellschaftsordnung zu den Wahrhaft Deutschen übergingen.
Viele, während sie auf den Einmarsch des Führers warteten, erzählten von ähnlicher Unbill. Alle schimpften sie, daß der Wert der Mark von Tag zu Tag so närrisch sank, alle machten sie die Juden und die Regierung dafür verantwortlich, alle erhofften sie sich Befreiung durch den Kutzner. Der Regierungsinspektor a. D. Ersinger war ein Herr, der sehr auf Sauberkeit hielt. Leib und Seele, Wohnung und Kleidung sauberzuhalten, war nicht leicht in diesen miserablen Zeiten. Er war ein friedfertiger Mann, geneigt, der Obrigkeit zu gehorchen, auch wenn die Herkunft ihrer Macht zweifelhaft war. Als ihm aber seine Frau, statt der gewohnten hygienischen Rolle, Zeitungspapier ins Klosett hing, da riß ihm die Geduld, und er ging zum Kutzner. Dem Maurerpolier Bruckner waren im Krieg drei Söhne erschossen worden, einer an der Somme, einer an der Aisne, einer am Isonzo, der vierte war in den Karpaten verschollen. Die Kirche hatte für den schimpfenden Alten keinen Trost, als daß Gott, wen er liebe, züchtige. Der Maurerpolier Bruckner fand besseren Trost bei Kutzner. Die Hofrätin Beradt war zwar ihre unwillkommene Mieterin Anna Elisabeth Haider durch deren Ableben losgeworden. Doch auch ihre späteren Mieter trieben Ungebühr aller Art, lärmten, empfingen zweideutige Besuche, kochten verbotenerweise im Zimmer auf elektrischen Apparaten. Mußte sich eine anständige Witfrau das bieten lassen? Sie mußte es. Sie konnte sich des Gesindels nicht entledigen: infolge der gottlosen Mieterschutzgesetze. Der Führer, hoffte sie, wird Ordnung schaffen. Herr Josef Feichtinger, Gymnasiallehrer am Luitpoldgymnasium, war erst am Isartorplatz umgestiegen, wo er noch einen Einkauf zu tätigen hatte, statt am Stachus. Er hatte nicht den für die Benutzung von Umsteigescheinen vorgeschriebenen kürzesten Weg genommen und wurde bestraft. Er war in Ehren zweiundvierzig Jahre alt geworden: unter dieser Regierung wurde man bestraft, weil man am Isartorplatz zwei blaue Hefte kaufte. Er ging zum Kutzner. In Berlin gingen die Mißvergnügten zu den Kommunisten; in München flüchteten sie zum Hakenkreuz.
Der Rauch wurde dicker, Schweiß und Hitze stärker, die grauen Tonkrüge undeutlicher, die runden Schädel röter. Der Altmöbelhändler Lechner zog immer heftiger sein gewürfeltes Taschentuch. Endlich hielt, begleitet von den Fahnen, unter ungeheurem Jubel, Rupert Kutzner seinen Einzug, den sorglich gescheitelten Kopf gereckt, marschierend zu der dröhnenden Blechmusik.
Er sprach von dem Schmachfrieden von Versailles, von den frechen Advokatentricks des Franzosen Poincaré, von internationaler Verschwörung, von Freimaurern und Talmud. Was er sagte, war nicht unbekannt, aber es wirkte neu durch die Urwüchsigkeit des Dialekts, durch die Kraft des Vortrags. Voll Bewunderung dann und Ehrfurcht in der Stimme sprach er von dem italienischen Führer Mussolini, wie der sich kühn der Stadt Rom und der Apenninenhalbinsel bemächtigt hatte. Seine Tatkraft, rief er, solle auch den Bayern leuchtendes Vorbild sein, und er verhöhnte die Reichsregierung und prophezeite den Marsch auf Berlin. Malte aus, wie die verrottete Stadt den Wahrhaft Deutschen in die Hände fallen werde, ohne Schwertstreich, sich schon beim Anblick der heranziehenden echten Söhne des Volkes die Hosen bekleckernd. Es war lautlos still, während er von dem Marsch auf Berlin sprach. Alle warteten, daß er einen bestimmten Tag verkünden werde. Cajetan Lechner hielt mitten im Schneuzen inne, um nicht zu stören. Allein der Führer drückte sich nicht grob und klar aus wie die Kursnotiz des Dollars, er sagte es poetisch. »Noch vor der Baumblüte«, rief er, auf die Fahnen mit dem exotischen Emblem weisend, »werden diese Fahnen sich bewähren.«
Noch vor der Baumblüte. Das war eine Verheißung, die sich den Menschen ins Herz grub. Die Leute lauschten benommen, glücklich. Der prächtige Schall Rupert Kutzners, seine bewegte Mimik riß sie mit. Sie vergaßen, daß ihre paar Wertpapiere wertlos waren, die Versorgung ihres Alters gefährdet. Wie dieser Mann es verstand, ihren Träumen Worte zu geben. Wie seine Hände groß durch die Luft fegten, gewaltig aufs Pult schlugen, sich markig reckten, wohl auch ironisch Bewegungen imitierten, mit denen die schlichteren Witzblätter jener Zeit Juden charakterisierten. Glückselig hingen sie an seinen Gesten, zwangen, wenn sie die Maßkrüge auf den Tisch setzten, die schweren Finger zu besonderer Behutsamkeit, damit nicht das Geräusch eines der köstlichen Worte übertöne. Manchmal hob der Führer die Stimme, auf daß die Zuhörer merkten, jetzt sei es an der Zeit, zu klatschen. Die Pause des trommelnden Applauses dann benutzte er, den Schweiß von der Stirn zu wischen, den Bierkrug, auch das mit großer Geste, zu ergreifen, tief zu trinken.
Einmal sprach er von dieser traurigen Berliner Regierung, die gegen die berechtigte Empörung des Volkes keine andere Waffe habe als ein Ausnahmegesetz. »Wir Wahrhaft Deutschen«, rief er, »wenn wir an der Macht wären, wir brauchten kein Ausnahmegesetz.« - »Was würdet denn ihr tun?« rief eine wohlklingende, sonore Stimme dazwischen. Rupert Kutzner schwieg einen Augenblick. Dann in den lautlos gespannten Saal hinein, leise, mit einem träumerischen Lächeln, sagte er: »Wir würden unsre Gegner legal hängen lassen.«
Es machten aber die Wahrhaft Deutschen vier Prozent der Bevölkerung aus, vierunddreißig Prozent waren neutral: die Gegner waren zweiundsechzig Prozent.
Alle im Saal lächelten jetzt, das gleiche, nachdenkliche Lächeln wie der Führer. Sie sahen ihre Gegner am Galgen hängen oder an Bäumen, mit blauen, vorquellenden Zungen, der Lechner sah den Galizier hängen, den Käufer des gelben Hauses, die Frau Hautseneder die beiden Reisenden mit dem Staubsauger, die beiden Reisenden die Frau Hautseneder, und alle tranken tief und befriedigt aus den großen, grauen Krügen.

Georg Kreisler - Der Ausländer

Album: Lieder zum Fürchten, 1963

Was seh ich, als ich gestern auf der Straße geh?
Der Schreck tut mir heut noch weh
Oh Gott, einen Ausländer!
Er läßst die Leute still an sich vorbeigeh'n
Als wollt er sagen: "Wart, ich werd's euch zeigen!"

Ich bin doch sonst ein ruhiger und beherrschter Mann
Den nichts irritieren kann
Außer ein Ausländer
Als dieser plötzlich weiterging, da dacht ich, saperlot
Dem geh ich nach, ich bin doch Patriot!

Das ist wieder typisch!
Er ist doch schließlich nur ein Ausländer, nicht mehr!
Und geht so sorgenfrei
Als ob er Schweizer sei
Durch den Verkehr -
Ich muß hinterher

Das ist wieder typisch!
Er sieht den Leuten, die ihn anschaun, ins Gesicht
Und wenn er stehenbleibt
Wie's ihn gleich weitertreibt
Den Bösewicht! -
Mich bemerkt er nicht

Vor der großen Kirche auf dem Hügel
Bleibt der Schurke endlich stehn
Und er reißt die Augen auf
Als hätt' er diese Kirche nie gesehn!

Das ist wieder typisch!
Jetzt geht er in die Kirche rein, so ein Skandal!
Obwohl ich Schweizer bin
War ich noch niemals drin!
Doch dieses Mal
Bleibt mir keine Wahl -
Fatal!

Ich denke oft des Nachts, während mir das Blut gerinnt:
In anderen Ländern sind
Überhaupt nur Ausländer!
Doch hier versucht sich keiner einzunisten
Nur im Tessin, paar steinreiche Touristen
Dafür sind wir auch auf der ganzen Welt bekannt
Wir sind das einzige Land
Mit ausschließlich Inländern
Und wenn nicht grad Saison ist und 's kommt trotzdem wer vorbei
Dann schnappt ihn uns're die Fremdenpolizei

Das ist wieder typisch!
Ich mußte lange vorm Hotel auf Wache stehn
Ich denk', er kommt um acht
Was glauben Sie, was der macht?
Er kommt um zehn! -
Ich hab ihn gesehn

Das ist wieder typisch!
Er hatte nämlich nachts zuvor ein Rendezvous
In einer kleinen Bar
Doch als er hinkam, war
Die Bar schon zu -
Na, da gab er Ruh

Plötzlich spricht er mich an
Und schon nach den ersten Worten war ich platt -
Das war ja gar kein Ausländer
Das war ein Käufer aus der nächsten Stadt

Das ist wieder typisch!
Da kommt ein Ausländer
In unsre Stadt voll List
Geht überall aus und ein
Ich schleiche hinterdrein
Seh' alles, was er macht
Bleib' auf die ganze Nacht
Geh' selber nicht nach Haus
Und dann stellt sich heraus
Daß dieser Ausländer
Ein Einheimischer ist

Ist doch wieder typisch!

Vorsicht, die Mandoline ist geladen - Deutsches Kabarett seit 1964
Fischer, 1971

Floh de Cologne - Aus dem »7. Programm« (1968)

»Wenn den Blinden das Astloch im Zaun stört
wenn Frau Schulze dem Minirock-Mädchen mal ordentlich den Hintern versohlen will
wenn Herr Schulze dem Langhaarigen mal gehörig den Marsch blasen will
wenn Frau Mayer den Studenten in ein Arbeitslager schicken will
wenn Frau Müller den Lustmörder lynchen will
wenn Herr Schmidt dem Rocker mal ordentlich eins in die Fresse hauen will
wenn Müllers Aggressionen Ruhe stiften
wenn Mayers Sadismus Ordnung schafft
wenn Schulzes Verdrängungen für Sitte und Anstand sorgen
wenn die eigenen verbotenen Träume durch Menschenopfer beschwört werden sollen
wenn die Moral ihre Lustmorde braucht, um sich zu rechtfertigen
wenn die lüsterne Beschreibung des Lustmords zugleich die Todesstrafe fordert
wenn die Sühne am Lustmord zur Lust am Mord wird
wenn sich also jemand für sein schlechtes Gewissen an anderen rächt, so geschieht Recht
wenn das Recht zum Recht auf Sadismus wird
dann ist Himmelfahrt
dann besuchen wir Kardinal Spellmann
sitzend zur Rechten Gottes
umringt von den amerikanischen Heerscharen
dann besuchen wir die Päpste
wenn sich die Hirten erheben
sitzend zur Linken Gottes
stapfen sie durch Milliarden
abgetriebener und verhungerter Kinder
Frau Müller, Sie haben die Erlaubnis,
den Lustmörder zu lynchen.
Wo fangen Sie an?
Frau Müller, wo fangen Sie an?
Frau Müller, wo fangen Sie an?
Würden Sie ihn zuerst nackt ausziehen?
Würden Sie ihn nackt ausziehen?
Frau Müller, an welcher Stelle fangen Sie an?
An welcher Stelle fangen Sie an?
Frau Müller, wo fangen Sie an
Herr Müller, es geht um die Freiheit.
Sie haben den Befehl, diesen Vietcong zu foltern.
Wo fangen Sie an?
Herr Müller, wo fangen Sie an?
Herr Müller, wo fangen Sie an?
Würden Sie ihn zuerst nackt ausziehen?
Würden Sie ihn nackt ausziehen?
Herr Müller, an welcher Stelle fangen Sie an?
An welcher Stelle fangen Sie an?
Herr Müller, wo fangen Sie an?