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Dieter Hildebrandt - Überleben Sie mal

aus:
Was bleibt mir übrig | Anmerkungen zu (meinen) 30 Jahren Kabarett. | Texte 1961 -1964
Knaur | 1989 | ISBN: 9783426023846 94 / ~2000 :))

Überkleben Sie Plakate, Transparente, wo geschrieben steht, es ist nun alles aus. Überlassen Sie das bitte dem Talente, der Voraussicht unsrer Herrn im Bundeshaus. Übergeben Sie suspekte Elemente, die das sagen, der Verfassungspolizei. Auch der Untergang der Welt war eine Ente. Pazifismus ist nur leere Rederei. Weil alles halb so wild ist, wenn man nur recht im Bild ist. Weil man nur an geschmiert ist, wenn man nicht informiert ist. Weil alles halb so schwer ist, weil alles kein Malheur ist, weil jeder Amateur ist, der sich dabei empört.


Überheben Sie sich sämtlicher Bedenken, eine Bombe kostet nicht gleich jeden Kopp, und die Kirche sagt, der Herr wird sie schon lenken, und der lenkt sie in den Osten. Na und ob... sie aber über Oberammergau oder aber über Unterammergau, oder aber überhaupt nicht fällt, ist nicht gewiß.


BÜRGERIN: Der Mensch von heute soll nicht höher als höchstens im Hochparterre wohnen.
1. BÜRGER: Warum denn das?
BÜRGERIN: Je höher der Stand der Technik, um so tiefer muß der Mensch wohnen.
1. BÜRGER: Weswegen?
BÜRGERIN: Damit er's nicht so weit in den Keller hat.
2. BÜRGER: (Zieht ein Buch heraus.) »Eine moderne Fernrakete hat eine Geschwindigkeit Von 28 000 Stundenkilometern. Die Flugzeit von Bratislawa bis München würde also fünf Sekunden betragen.«
3. BÜRGER: Sagen Sie!
2. BÜRGER: Nein, sagt der Fachmann.
1. BÜRGER: Sie vergessen unser hochentwickeltes Warnsystem; es kann uns nichts passieren.
3. BÜRGER: Unser was?
1. BÜRGER: Warnsystem. (Zieht eine Broschüre heraus und liest.) »Bei einem drohenden Angriff wird die Bevölkerung durch den Rundfunk über die allgemeine Lage laufend unterrichtet.«
3. BÜRGER: Sagen Sie?
1. BÜRGER: Nein, sagt diese amtliche Broschüre.
3. BÜRGER: Moment, das möchte ich wissen. Ich gehe jetzt hinaus und bin die Rakete. Einer von Ihnen spielt den Bayerischen Rundfunk, und einer zählt von 21-25, und dann schlage ich ein. (Geht ab.)
2. BÜRGER: Ich bin der Bayerische Rundfunk.
BÜRGERIN: Und ich zähle bis 25. Alles fertig?
3. BÜRGER: (Von ganz weit hinten.) Fertig! Ich liege bereits auf der Abschußrampe!
BÜRGERIN: Einundzwanzig -- zweiund...
2. BÜRGER: Hier ist der Bayerische...
BÜRGERIN: zwanzig -- dreiund...
2. Bürger: Rundfunk.
BÜRGERIN: zwanzig -- vierund...
2. BÜRGER: Vor fünf Sek... (Alle stürzen mit einem Schrei von der Bühne. Die »Bombe« tritt auf.)
3. BÜRGER: Wo sind Sie denn?
2. BÜRGER: Im Keller!!
3. BÜRGER: Sie waren doch der Rundfunk. Sie müssen doch das Volk warnen?
2. BÜRGER: Und wer warnt mich? (Alle kommen langsam wieder auf die Bühne.)
3. BÜRGER: Das Frühwarnsystem funktioniert ganz toll, was? Und was sollte denn der Quatsch mit der Aktentasche? Warum haben Sie die über den Kopf gehalten, als ich einschlug?
BÜRGERIN: Das habe ich in der amtlichen Broschüre des Bundesinnenministeriums gelesen.
1. BÜRGER: Jawohl, Aktentaschen schützen gegen Strahlung und herabfallende Trümmer.
2. BÜRGER: (Schlägt sein Buch auf.) »Bei einer Oberflächenexplosion berührt der Feuerball die Erdoberfläche. Dabei werden Gestein, Erde und andere Materialien verdampft und in den Feuerball aufgesogen.«
BÜRGERIN: Und was sagt Ihre Broschüre?
1. BÜRGER: »Die Hitzestrahlung breitet sich mit ungeheurer Geschwindigkeit aus. Sie wirkt aber wegen ihrer kurzen Dauer nur auf die jeweils getroffene Oberfläche. In der Nähe schützen davor bereits Mauervorsprünge und größere Gegenstände.«
2. BÜRGER: Aktentaschen.
1. BÜRGER: Jawohl!
BÜRGERIN: Vielleicht sollte man noch was rein tun in die Aktentasche, dann schützt sie noch mehr.
2. BÜRGER: Ja, die Broschüre vom Innenministerium. (Er liest aus seinem Buch.) »Eine Wasserstoffbombe bewirkt nach den Erfahrungen von Bikini eine Verseuchung von 20 000 Quadratkilometern.«
1. BÜRGER: Unsinn! Da lese ich doch lieber die Broschüre! »Die sogenannte Anfangsstrahlung dauert etwa 60 Sekunden und reicht nie weiter als 3-5 Kilometer vom Explosionspunkt.«
BÜRGERIN: Wir wollten sowieso aufs Land ziehen.
1. BÜRGER: Tun Sie es nicht, denn in meiner Broschüre steht:** »Flucht bringt keine Rettung.«
ALLE: Ach soo?
1. BÜRGER: Ja. »Wer sich auf die Flucht begibt, kann nicht rechtzeitig gewarnt werden.«
2. BÜRGER: Vom Bayerischen Rundfunk! Überleben werden wir's auf alle Fälle, weil die Seele immer noch unsterblich ist. Keinen Fußbreit rückt der Deutsche von der Stelle, wie ihr alle noch vom letzten Krieg her wißt.


Überheben Sie sich sämtlicher Bedenken, eine Bombe kostet nicht gleich jeden Kopp. Und die Kirche sagt: Der Herr wird sie schon lenken, und der lenkt sie in den Osten, na und ob... sie aber über Unterpfaffenhofen oder aber über Oberpfaffenhofen oder aber ganz genau ins Altmühltal, ist fast egal.

Ausgebucht

Dieter Hildebrandt - Was Recht ist muß Recht bleiben

Ausgebucht. Mit dem Bühnenbild im Koffer
Hörbuch, 2004, ISBN: 9783898309059

Penzberg, eine rote Enklave im schwarzen Umkreis des einstigen Wahlkreises von Franz Josef Strauß, Weilheim, ein nicht zu eroberndes sozialdemokratisches Nest im Allgäu. Mit Blick auf die Berge. Und mit Blick in die Vergangenheit. Da gibt es Erfreuliches. Zum Beispiel, dass Penzberg einmal in der Bayernliga Fußball gespielt hat. Aber auch, dass am Penzberger Sportplatz ein Denkmal steht, das an die Mordtage von Penzberg erinnert. 1972 stand ich das erste Mal davor und erfuhr von dieser Geschichte, die in den letzten, allerletzten Kriegstagen im April 1945 geschehen war. In jenen Tagen, als Hans Filbinger seine Pflicht, so sagt er, getan hat, wozu er ein Recht hatte. Das Recht von damals. Am 28. April 1945 hatten zwei amerikanische Armeen und eine französische die deutsche Reststreitmacht auf engstem Raum zusammengedrängt. Sie standen bereits in Freising, also ganz kurz vor München, in Ulm, nahe Kempten, in Regensburg und Passau. Die so genannte >Alpenfestung<, von der immer wieder die Rede war, die aber nie existiert hat, nicht einmal auf dem Obersalzberg mit den Villen der Bonzen, in denen ihre zitternden Angehörigen hockten: diese >Festung< wurde nur noch verteidigt durch ein paar Nebelwerfer, die im Falle eines Angriffs der Air Force das gesamte Berchtesgadener Tal in Nebel hüllen sollten. Überall sah man haufenweise abgelegte Uniformen, weil desertierte Soldaten Zivilkleidung angezogen hatten, SS-Einheiten kontrollierten und durchsuchten die Häuser nach weißen Fahnen und Fahnenflüchtigen. Der Krieg war aus. Die >Volksgenossen< verbrannten die Hitlerbilder und die Parteiausweise. In der Nacht lauschte man, ob man die amerikanischen Panzer schon hören konnte. Noch war nicht klar, in welcher Weise man das Kriegsende überstehen würde, aber bis hierher hatte man schon mal das Schlimmste überstanden. In der Nacht vom 27. zum 28. April hatte eine Gruppe um Hauptmann Gerngross den Radiosender München in Freimann besetzt und über die Mikrophone das Ende des Krieges verkündet. Das war nicht die Tat eines Wichtigtuers, der ja die paar Tage noch hätte abwarten können, nein, es war ein mutiger Schritt, um die Menschen aufzufordern, Städte, Dörfer, Fabriken, Brücken vor der Zerstörung zu retten. In Penzberg hatten ein paar Männer morgens um vier Uhr diesen Aufruf gehört und sich aufgemacht, um das Bergwerk von Penzberg vor der beabsichtigten Sprengung zu bewahren. Ebenso ging es um die Erhaltung des Wasserwerks. Das Rathaus wurde von früheren Politikern der SPD, der KPD und der Bayerischen Volkspartei besetzt, und der 1933 abgesetzte Bürgermeister Rummer übernahm die Geschäfte des Nazibürgermeisters Vonwerden. Plötzlich fuhren Soldaten eines Werferregiments in die Stadt ein. An der Spitze ein Hauptmann, der seinen Oberstleutnant Ohm empört darüber informierte, was hier passiert war. Offensichtlich waren das Offiziere, die an den >Endsieg< durch diese legendären Wunderwaffen, die in den Alpen versteckt sein sollten, glaubten und an den Führer und an die Alpenfestung, die sie wahrscheinlich unentwegt gesucht hatten. Dann stieß noch der Schnellrichter Oberstleutnant Bauernfeind hinzu. Von nun an ging es schnell. Die Wehrmacht verhaftete die neue Stadtregierung. Oberstleutnant Ohm bekam vom Gauleiter Gieseler in München den erbetenen Befehl, die >Verräter< zu füsilieren, und die acht Männer wurden sofort erschossen. Inzwischen hatte der Gauleiter den Sender in Freimann zurückerobert und einen flammenden Aufruf zum Durchhalten in das Mikrophon gebrüllt. Dann nahm er seinen Wagen und floh. Am Abend rauschte eine Hundertschaft von bewaffneten >Werwölfen< in die Stadt. Führer dieser Mordbande war der Nazidichter Hans Zöberlein. Hans Zöberlein (1898-1964), Brigadeführer der SA, glühender Verehrer Hitlers seit den 20er Jahren, Münchner NSDAP-Stadtrat und Romanschriftsteller für Kriegsangelegenheiten, später Führer der Werwolf-Bewegung. Originaltext: >Das Reich wird kommen! Das Reich, von dem du so hoffnungsfroh geträumt. Einer von uns, Dietrich Eckart, hat zuerst von ihm gekündet. Noch fern - ganz fern -, aber er hat schon sehen können: Adolf Hitler wird euch hinführen. Der allein ist es, der das kann! - Sonst keiner!< Zöberlein hat seine Leute in die Häuser von Penzberg gehetzt, um ortsbekannte Regimegegner aus den Kellern zu holen, in denen sie sich versteckt hatten. Sie wurden schnell entdeckt, weil viele Bürger der Stadt verraten haben, wo sie waren. Dann hat man sie aufgehängt. Zwei Frauen und sechs Männer. Anschließend feierte man weithin hallend den Sieg gegen die Verräter. Am Tag darauf war der Spuk vorbei, denn amerikanische Panzer rollten in die Stadt. Die Zahl der Bevölkerung hatte sich nicht verändert. Aber es gab keine Nazis mehr. Wie überall. Zöberlein musste sich drei Jahre später wegen Massenmordes verantworten. Er wurde zum Tode verurteilt. Ein Jahr später wurde die Strafe in lebenslange Haft umgewandelt. Er blieb im Gefängnis bis Ende der 50er Jahre. Starb 1964. Im Bett. Er hat nie etwas bereut, hielt sich für einen aufrechten, tapferen Verteidiger des Vaterlands. Das Recht war ja auf seiner Seite. Das damalige. Übrigens war das spätere Schicksal der anderen Mörder auch erträglich. Oberstleutnant Ohm wurde 1956 freigelassen, Oberstleutnant Bauernfeind 1950 freigesprochen. Nur die Opfer waren tot.